Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
konnte. Beiläufig fragte er, wie sie zu ihrem jemenitischen Nachnamen gekommen war und woher sie Gerichte wie Jachnun aus dem Jemen kochen konnte, und fügte hinzu: »Du kommst doch aus der Ukraine, oder? Ich hätte eher Blintjes oder Pelmeni erwartet.«
»Mein zweiter Ehemann, Gott hab ihn selig, stammte aus dem Jemen.«
Assaf schaute überrascht.
Wie zur Erklärung fügte Klara hinzu: »Ja. Das war damals ein Skandal. Eine so blonde Frau wie ich, geschieden, Aschkenasi, mit einem tiefreligiösen dunkelhäutigen Jemeniten.«
Assaf nickte. Auch heute noch bekäme ein Paar in dieser Konstellation einige Probleme mit seinen Familienangehörigen. Selbst ihn, der immerhin halb-aschkenasisch war – sein Vater stammte aus Rumänien –, sahen viele aschkenasischen Juden nicht als ihresgleichen an. Aber natürlich war der Rassismus von einst deutlich schwächer geworden. Zumindest kam es ihm so vor, da er mit seiner weißen Haut sicherlich nicht die gleichen Erfahrungen wie echte, sichtbar orientalische Juden machte. Die Einzigen, die den Rassismus zwischen aschkenasischen und orientalischen Juden weiterhin intensiv pflegten, waren die Orthodoxen. Erst vor kurzem hatte Assaf gelesen, dass in Jerusalem eine Gruppe hassidischer Juden europäischer Herkunft dagegen demonstriert hatte, dass Kinder von orientalisch-orthodoxen Familien auf dieselben Schulen gingen wie ihre. Zwar waren beide Gruppen orthodox, aber die weißen Orthodoxen sahen sich seit jeher als die besseren Juden. Sephardische und mizrachische Juden erkannten sie kaum an, von äthiopischen oder jemenitischen Juden ganz zu schweigen.
»Das war sicherlich damals sehr mutig von euch«, sagte Assaf.
»Mutig. Wo die Liebe hinfällt. Er war ein guter Mann, mein Salach.«
»Salach? Wie Salach Shabati?« Die Hauptfigur des berühmten gleichnamigen Filmes von Ephraim Kishon über die Einwanderung eines jemenitischen Juden nach Israel kannte jeder im Land.
Klara lächelte. »Ja. Wie der aus dem Film. Er war ein guter Mann. Nur an mein russisches Essen hat er sich nie gewöhnen können, deswegen habe ich gelernt, jemenitischesEssen zu kochen. Und obwohl er schon seit einigen Jahren tot ist, koche ich es immer noch.« Wie zum Beweis holte Klara nun die Teigfladen aus dem Ofen und belegte sie mit den frisch geschnittenen Tomaten. Das Ganze stellte sie zusammen mit zwei Gläsern Mirabellen-Gazoz auf ein silbernes Tablett, wie Assaf es von seiner eigenen irakischen Großmutter kannte, und ging vorsichtig damit zurück ins Wohnzimmer. »Lass es dir schmecken.«
»Klara, was hast du vorhin damit gemeint, als du sagtest, du wusstest, es würde kein gutes Ende mit deiner Enkeltochter nehmen? Wie war Marina denn so?«, fragte Assaf die alte Dame vorsichtig, bevor er sich dem Jachnun widmete.
Klara machte ein Gesicht, als müsste sie ihre wirren Gedanken erst sortieren, bevor sie etwas sagen konnte. Assaf vermutete, dass sie noch lange brauchen würde, um zu verstehen, dass Marina wirklich tot war.
»Marina ist ... war ... sehr lebendig. Voller Lebensfreude. Sehr selbstbewusst. Sie war sehr hübsch.« Klara verstummte für einen Moment. »Sie war aber auch sehr eigensinnig. Wusste genau, was sie wollte. Sie hat sich von niemandem sagen lassen, was sie tun soll. Sie war egoistisch und verwöhnt, ihr Vater hat sie immer alles machen lassen. Vor allem seit ihre Mutter gestorben war.«
»Wann ist ihre Mutter verstorben?«
»Meine Schwiegertochter ist vor zwölf Jahren gestorben, da war Marina gerade mal zehn Jahre alt.«
»Marina war sehr hübsch. Hatte sie einen Freund?«
»Nu. Sie war ja erst 22. Etwas Festes hatte sie, glaube ich, nicht. Aber es gab bestimmt viele, die sie direkt vom Fleck weg geheiratet hätten. Sie war ja auch sehr klug.«
»Gab es in letzter Zeit irgendwelche Veränderungen in Marinas Leben? Hat sie etwas bedrückt?«
Klara verharrte kurz, bevor sie mit fester Stimme sagte: »Bedrückt hat Marina eigentlich nie etwas. Sie war immer sehr sorglos.« In diesem Moment fiel der älteren Dame etwas ein: »Allerdings ... Ich hatte schon das Gefühl, dass sie in letzter Zeit etwas erwachsener geworden war, weniger egoistisch. Und sie hat neuerdings oft von den afrikanischen Flüchtlingen und Gastarbeitern im Land gesprochen. Sie konnte sich sehr in solche Themen hineinsteigern. Sie erzählte mir, wie schlecht es denen ginge und wie unfair sie behandelt würden. Ich habe ihr nur gesagt, dass es für alle Neueinwanderer in Israel schwer war und ist. Egal,
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