Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
hörte gedämpft, wie Ruth Silberman blätterte. Dann klickte es, und er vermutete, ihr war eben erst wieder eingefallen, dass alle Daten im Computer gespeichert waren und nicht mehr in mühsamer Kleinstarbeit in Aktenordner notiert werden mussten.
»Rega ... hier habe ich es. Sie wohnt Yoseftal 158 in Bat Jam, Apartment 2. Und rega, ich suche noch ihre Telefonnummer.« Sie nannte ihm die Nummer.
»Vielen Dank, Geveret Silberman. Du hast mir sehr weitergeholfen. Einen schönen Tag.«
»Gibt es denn schon Neuigkeiten zum Tod von Marina Koslovsky?«, beeilte sich die Sekretärin zu fragen.
»Bitte versteh, dass ich über laufende Ermittlungen nicht sprechen kann. Sollte es Neuigkeiten geben, die wir mit der Öffentlichkeit teilen, werde ich dir Bescheid sagen«, erwiderte Assaf freundlich und beendete das Gespräch.
Assaf war nicht überrascht, dass Olla in Bat Jam wohnte. Die Stadt vor Tel Aviv, die einst ein Urlauberparadies mit seinen klotzigen Hotels an der Strandpromenade gewesen war, entwickelte sich mehr und mehr zu einem Little Russia, in dem Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion eine Heimat gefunden hatten. Leider war das nicht unbedingt zum Vorteil für Bat Jam, das aufgrund seiner Nähe zu Jaffa vor 1948 mehrfach Angriffen durch Araber ausgesetzt gewesen war und heutzutage wiederum den Ruf hatte, sehr gefährlich zu sein.
Assaf schaute auf die Uhr. In fünf Minuten sollte der andere Schüler eintreffen, mit dem Marina vor ihrem Tod zusammengesessen hatte. Er rief Liat an und bat sie, jemanden zu schicken, der eine DNA -Probe von dem Amerikaner nehmen konnte.
Jérôme Weiss kam fast pünktlich, um kurz nach elf, im Präsidium an und wurde dann von Zipi in das Büro von Assaf geführt. Kurz danach betraten der Kommissar und sein Kollege das Zimmer. Die Befragung verlief so weit ereignislos, und die beiden Polizisten, die der Einfachheit halber Englisch mit dem Hebräischanfänger sprachen, erfuhren nichts, was von ihren bisherigen Informationen abwich. Erst als Assaf den jungen, dicklichen Amerikaner bat, ihnen nun eine Speichelprobe zu geben, kam etwas Leben in den gleichgültig, fast arrogant wirkenden Jérôme.
»Wofür braucht ihr das? Ich habe nichts getan!«, versuchte sich der Amerikaner zu widersetzen.
»Es handelt sich um eine Routinemaßnahme. Wir müssen allen Möglichkeiten nachgehen. Du hast nichts zu befürchten, wenn du nichts getan hast«, bemühte sich der Kommissar, möglichst freundlich und sachlich zu bleiben.
»Nichts zu befürchten? Stehe ich etwa unter Verdacht? Das ist eine Frechheit. Was wollt ihr denn von mir? Ich sehe gar nicht ein, euch eine Speichelprobe zu geben! Ich habe nichts getan.«
Assaf wurde ungeduldig. »Du kannst uns diese Probe freiwillig geben, oder wir erwirken sie gerichtlich. Das dauert aber länger und macht mehr Aufsehen. Wenn du also keinen Stress haben willst, dann kürzen wir das Ganze einfach ab, und du lässt jetzt diese nette junge Dame dadraußen mit einem Stäbchen durch deine Mundhöhle fahren.«
Jérôme schaute Assaf unsicher an, als überlege er, von welchem Stress der Kommissar wohl sprach. »Ich möchte meinen Vater anrufen.«
»In Ordnung. Hier ist das Telefon. Wir warten vor der Tür.«
Assaf glaubte nicht, dass der dicke Junge den Mut gehabt hätte, aus dem dritten Stock zu springen und davonzulaufen. Der Amerikaner war nicht Moses. Er hatte im Gegensatz zu dem Afrikaner Vertrauen in Gerechtigkeit und die Macht von Anwälten, in staatliche Systeme und darin, dass niemand zu etwas gezwungen werden konnte. Er kannte seine Rechte, und anders als Moses war ihm die Angst vor Abschiebung in ein Entwicklungsland völlig fremd. Fünf Minuten später öffnete der Amerikaner die Tür und erlaubte der Dame aus der Rechtsmedizin kleinlaut, mit ihrem Plastikstäbchen näher zu kommen.
»Na, geht doch«, brummte Yossi und sah Assaf zufrieden an.
Der Kommissar konnte sich sehr gut vorstellen, was sein Vater dem Jungen gesagt hat. Amerikaner vertrauten Israelis, sie hatten die romantische Vorstellung, dass alle Juden im Heiligen Land gute Menschen waren. Frei von Sünde sozusagen. Vielleicht etwas unzivilisiert hier und da, aber doch warme, herzliche Individuen. Sie wussten das, weil es in amerikanisch-jüdischen Gemeinden zum guten Ton gehörte, Israel zu unterstützen und in jungem Alter wenigstens ein paar Monate im Judenstaat zu verbringen. Dort waren sie dann Israelis auf Zeit, liebten es, Kaugummi-Hebräisch zu sprechen, das einfache
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