Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
stammelte er.
Anat schaute ihn argwöhnisch an. »Joy?«
»Ich habe sie in dem Mordfall Marina Koslovsky vernommen.«
»Und was glaubst du, welchen Zusammenhang gibt es?«, fragte sie sachlich.
Assaf schaute Anat an. Ihre blauen Augen schienen gräulich zu funkeln. Vielleicht war es das Licht. Der Himmel hing voller Wolken.
»Es ist meine Schuld. Ich hätte sie finden müssen. Ichwusste, dass sie in Gefahr war. Sie hat mich doch angerufen ... Ich hätte ihr helfen müssen«, brach es aus ihm heraus.
»Komm. Wir fahren zusammen zum Präsidium, und auf dem Weg erzählst du mir, was genau passiert ist.«
Es war seltsam, mit Anat im Auto auf so engem Raum zu sitzen. Und auch Anat schien in dieser Situation befangen zu sein. Assaf konzentrierte sich ganz darauf, ihr alles zu berichten, besonders ausführlich stellte er seine Recherchen zu den Drogengeschäften von Dudu Batito dar. Mehr denn je fühlte er sich in seiner Vermutung bestärkt, dass beide Morde damit etwas zu tun haben könnten. Assaf glaubte, dass sowohl Joy als auch Marina von einem Konkurrenten Batitos ermordet worden waren. Und irgendwie hatten die ja ihr Ziel erreicht. Das Bordell war erst einmal geschlossen worden. Und damit auch der Hauptumschlagsplatz.
»Yalla. Ich rede mit Yossi, und wir machen uns auf den Weg«, beschloss Assaf kurzerhand, als sie das Präsidium erreicht hatten.
»Okay, und ich trage zusammen, was wir bisher zu der Leiche aus dem Fluss haben«, antwortete Anat. Dann hielt sie kurz inne. In dem Moment wurde ihr wohl bewusst, dass dies eigentlich Assafs Fall war.
Doch der Kommissar hatte das Gefühl, er könne Hilfe gebrauchen. »Ich finde es gut, wenn du mit in den Fall einsteigst«, sagte er, während er ihren Arm berührte, »und das werde ich auch Wieler sagen.« Dann drehte er sich um und lief mit großen Schritten ins Polizeigebäude.
»Assaf, da bist du ja endlich. Ich habe versucht, dich anzurufen«, begrüßte Yossi ihn vorwurfsvoll.
»Ich weiß. Dudu?«
»Sofort. Ich habe die Adresse bereits aus den Unterlagen gesucht. Herzl 117.«
»Rega, ich muss nur vorher kurz mit Zipi sprechen. Wir brauchen dringend die Namen von Dudus Konkurrenten, die mir der Kollege vom Drogendezernat zugesagt hat.«
Assaf und Yossi fuhren über den Rothschild Boulevard zur Herzlstraße. Assaf versuchte krampfhaft, den Anblick der toten Joy abschütteln, der sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Er beobachtete die Menschen, die auf dem Rothschild Boulevard an geschichtsträchtigen Gebäuden, Museen und Galerien vorbeispazierten. An der nächsten Kreuzung lag die Herzlstraße, die im rechten Winkel südlich vom Ende der Rothschild abging. Wahrscheinlich konnte niemand in Tel Aviv erklären, wie diese zwei Straßen so dicht aneinander geraten waren. Die eine, Prachtallee der Stadt, ursprünglich »Straße des Volkes« genannt und dann zu Ehren des großzügigen Zionisten Baron Rothschild umgetauft, war die teuerste Straße Tel Avivs mit protzigen Gebäuden, die einem Katalog für Bauhaus-Gebäude hätten entstammen können. Die andere, nicht weniger verheißungsvoll nach dem Begründer des Judenstaates Theodor Herzl benannt, war eine in Vergessenheit geratene Straße mit Bauten, die dem Verfall mit jedem Windstoß vom Mittelmeer näher kamen. Mitten in der Stadt trafen diese Straßen aufeinander. Teure Anwaltskanzleien und imposante Immobilienbüros lagen neben billigen Kiosken und Geschäften, von denen niemand wusste, was sie eigentlich verkauften. Fast hätte man glauben können, der Rothschild Boulevard habe all das Licht der ersten, von Zionisten aufSanddünen gegründeten Stadt absorbiert, weswegen die umliegenden Straßen im Dunklen lagen. Nicht nur die schäbige Herzlstraße passte nicht ins Bild, sondern auch die seltsame Nachlat Binyamin mit ihren vernachlässigten Stoffläden und die hässliche Allenby mit ihren Ramschläden. Wahrscheinlich war es umgekehrt, die Rothschild Allee war es, die nicht zum Rest passte. Wie das Scheitern der Träume lag sie da, die gute zionistische Idee der Straße des Volkes. Verkommen jedoch das Drumherum.
Der Kommissar blickte angestrengt aus dem Beifahrerfenster, um nach Hausnummern Ausschau zu halten. Doch alles, was er erblickte, waren schwarze Immigranten, die sich auf ihren Mountainbikes auf dem Fußgängerweg entlangschlängelten.
»Hier ist die 117. Halt an, Yossi.«
Yossi parkte den Wagen etwas abenteuerlich, aber passend zur Gegend schräg ein, halb auf der Straße, halb auf dem
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