Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
vergessen. Ben schaffte es immer wieder, Dinge nicht mehr ganz so schlimm aussehen zu lassen. Zwar immer noch traurig, aber auf lustige Weise traurig, nicht auf tragische Weise.
Plötzlich merkte ich, dass alle aufstanden und gingen. Anscheinend war die Stunde zu Ende. Ich hatte nicht mal mitbekommen, dass Liv aufgehört hatte zu reden. Ich blieb noch sitzen, um Ben eine kurze SMS zu schicken und ihn zu fragen, ob er bald nach Brooklyn kommen konnte.
Als ich aufblickte, gingen Heather und Bethany gerade an meinem Tisch vorbei. Sie hatten sich untergehakt und flüsterten im Vorbeigehen Lesbe. Ich saß da wie versteinert und stierte vor mich hin.
Es war, als wäre ich aus meinem Körper geschlüpft. Als würde ich neben mir stehen und den Kopf schütteln. Wie war ich zu dieser Person geworden? Zu dieser Person, die ins Zentrum eines irrsinnigen Shitstorms geraten war? Denn es hatte doch früher diese andere Person gegeben, die sich niemals einem Club angeschlossen oder sich in ein Mädchen verliebt hätte, das nichts von ihr wissen wollte. Die niemals zugelassen hätte, dass alle Welt sich über sie lustig macht.
bist du in NY ? schrieb ich Ben.
Atemlos wartete ich auf die Antwort meines Retters in der Not. Es dauerte eine Ewigkeit.
BEN
bin am times square! total abgefahren! ich liebe NY !
AMELIA
wann kommst du nach bklyn?
BEN
kA… vllt auch nicht. du weißt, ich würd gern, aber…
AMELIA
BITTE ! du musst kommen!
Ich tippte die Adresse von Grace Hall ein. Schrieb, dass ich verstehen würde, wenn es nicht ging. Sosehr ich mir wünschte, dass er kam, ich wollte ihm nicht die schöne Zeit mit seinem Dad verderben. Schließlich war das alles weder seine Schuld noch sein Problem. Genauso wenig wie es Sylvias Problem war, auch wenn ich gehofft hatte, dass sie mich würde retten können.
Ich war diejenige, die blöd genug gewesen war, sich mit den Maggies einzulassen. Ich hatte all das zusätzliche Zeug in die E-Mail geschrieben, obwohl Sylvia mir gesagt hatte, das sei eine ganz schlechte Idee, und obwohl mir eigentlich klar gewesen war, dass sie recht hatte. Und trotzdem hoffte ich immer noch, dass es nicht Dylans Schuld war, dass diese E-Mail an die Öffentlichkeit geraten war.
» Amelia? « , sagte Liv.
Ich schüttelte den Kopf und blickte auf. Ich war dermaßen durch den Wind, dass ich mitten im Klassenzimmer ganz offen mit meinem Handy hantierte. Dass Liv mich nicht ermahnte, wenn ich ganz kurz eine SMS abschickte, war eine Sache, aber danach hätte ich das Handy sofort verschwinden lassen sollen. Ich wollte nicht, dass sie dachte, ich würde es ausnutzen, dass wir so ein gutes Verhältnis hatten.
» Sorry « , sagte ich und steckte das Handy schnell in die Tasche. » Meine Mutter hatte mir eine SMS geschickt und um Antwort gebeten. «
Liv schüttelte den Kopf.
» Es geht nicht um dein Handy. « Sie wirkte irgendwie elend, als sie sich mir gegenüber auf einen Stuhl setzte. In dem Moment hätte ich ihr am liebsten alles erzählt. » Es geht um deinen Leuchtturm -Aufsatz. «
» Ich weiß, ich hab mich nicht unbedingt an das Thema gehalten, das wir abgesprochen hatten « , sagte ich. Es erleichterte mich ein bisschen, über den Aufsatz zu sprechen. So kam mir das mit Dylan und der E-Mail und dem ganzen Schlamassel vor wie ein böser Traum. » Aber ich dachte, es wäre okay, wenn ich eine gute Arbeit abliefere. «
Liv runzelte die Stirn. » Das Thema deines Aufsatzes ist nicht das Problem. «
» Ist er nicht gut? « Das konnte sie unmöglich behaupten.
» Er ist durchaus gut, Amelia. Darum geht es auch nicht. « Sie holte tief Luft. » Der Aufsatz ist nicht von dir, das ist das Problem. «
» Was meinen Sie damit? «
» Ich habe deinen Aufsatz mit Hilfe eines Programms überprüft, das dazu da ist, Plagiate zu identifizieren. Das machen alle Lehrer an dieser Schule so. Wir sind seit diesem Jahr dazu verpflichtet. Jedenfalls hat das Programm deinen Aufsatz an zahlreichen Stellen markiert. Fazit ist: Der Aufsatz, den du eingereicht hast, besteht zum größten Teil aus Plagiaten. «
» Nein, das stimmt nicht! « Mein Herz raste. » Das hab ich alles selbst geschrieben! «
Liv wirkte ernst und zugleich traurig.
» Das passt überhaupt nicht zu dir, Amelia, das weiß ich « , sagte sie und sah mich an, als hoffte sie inständig, ich würde ihr alles beichten. » Wenn du mir erzählst, was passiert ist oder was du vermutest, dann finden wir bestimmt eine Lösung. Aber du musst mir helfen, indem du
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