Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
auszutauschen. Aber es ist etwas geschehen. Etwas Unerwartetes. Etwas, das mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Ich muss mich jetzt eine Zeitlang ganz auf mich selbst konzentrieren.
Ich wünsche dir alles, alles Gute. Du bist eine gute Seele. Ich schätze mich glücklich, dich kennengelernt zu haben.
Alles Liebe,
Katie
Kate
29. NOVEMBER
Kate setzte sich auf eine feuchte Parkbank gegenüber dem Haus Nummer 968 in der Fifth Avenue. Es war nach acht und schon dunkel. Es war nicht gerade der sicherste Ort, so spät am Tag am Rand des Parks, aber von hier aus konnte sie unauffällig den Eingang des Gebäudes im Auge behalten. Allerdings war sie sich immer noch nicht ganz sicher, was sie eigentlich vorhatte. Sie wusste nur, dass sie Lew, der sie angewiesen hatte, zu Hause zu bleiben, wieder einmal enttäuschen würde.
Ein paar Minuten später überquerte sie die Straße. Ein großgewachsener, elegant gekleideter Portier ließ sie das Gebäude betreten, so dass sie einen Moment lang glaubte, sie könnte einfach nach oben fahren, ohne irgendjemandem eine Erklärung abzugeben. Sie wurde schnell eines Besseren belehrt.
» Welches Apartment? « , fragte der Portier, der sie gekonnt überholte und ihr den Weg abschnitt, um ans Telefon zu gehen.
» Ach so, ja. « Kate fühlte sich ertappt. » 6C. «
Der Portier sah sie mit zusammengekniffenen Augen an, während er eine Nummer wählte. » Ihr Name? «
» Wie bitte? «
» Ihr Name, bitte « , wiederholte der Portier. Er machte ein Gesicht, als überlegte er, ob er sie gleich hinauswerfen sollte.
Vielleicht wäre es das Beste gewesen, dachte Kate. Denn was gedachte sie zu tun, wenn sie erst einmal im sechsten Stock war? Verlangen, mit diesem Ben zu sprechen? Und was würde sie tun, wenn man ihr sagte, dass dort kein Ben wohnte? Aber das spielte sowieso alles keine Rolle. Sobald der Portier jemanden in Apartment 6C erreichte und feststellte, dass man dort niemanden namens Kate Baron kannte, würde sie sich gleich darauf wieder auf dem Heimweg befinden.
» Kate Baron. « Sie rang sich ein Lächeln ab. » Das ist mein Name. Kate Baron. «
Den Portier schien ihr plötzlich erwachtes Selbstbewusstsein nicht zu überzeugen. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, meldete er sie in Apartment 6C an.
» Okay « , sagte er und senkte den Blick. » Ja, ja. Verstehe. «
Mit angehaltenem Atem wartete Kate auf die Demütigung, von dem Wachmann auf die Straße gesetzt zu werden. Andererseits wäre es auch eine Erleichterung. Das Schicksal, das sie vor sich selbst schützte. Stattdessen zeigte der Portier auf den hinteren Teil der Eingangshalle.
» Der letzte Aufzug « , sagte er.
Kates Herz raste, als die goldglänzenden Aufzugtüren aufglitten und sie in einen luxuriösen Korridor trat. An einer Wand stand eine auf Hochglanz polierte Kommode, und darüber hing ein Spiegel mit vergoldetem Rahmen. Kate betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht war grau und eingefallen, das Haar stumpf. Wie lange befand sie sich schon in diesem offensichtlichen Zustand der Verwahrlosung? Seit Amelias Tod? Oder schon länger?
Vielleicht hatte die Trauer auch ihr Gehirn angegriffen, denn was sie hier tat, einfach vor Bens Haustür aufzutauchen, war falsch. Sie war einmal eine rational denkende und handelnde Person gewesen. Tief im Innern war sie das auch immer noch. Sie wusste, dass all der Luxus, dem sie sich gegenübersah, nicht ausschloss, dass hier ein Psychopath wohnte. Sie brauchte Lew. Sie hatte hier nichts zu suchen. Überhaupt nichts. Was sie tat, war dumm und sinnlos.
Sie drehte sich um und drückte auf den Aufzugknopf. Zum Glück glitten die Türen augenblicklich auf. Sie wollte gerade in den Aufzug steigen, als die Wohnungstür hinter ihr geöffnet wurde.
» Kate? « , rief eine Frauenstimme. » Wo wollen Sie denn hin? «
Kate fuhr herum. In der Wohnungstür stand Vera. Sie sah fit und muskulös aus in ihrem engen T-Shirt und der Gymnastikhose, das lange schwarze Haar im Nacken zusammengebunden. Barfuß kam sie Kate entgegen und schaute sie mit ihren großen braunen Augen besorgt an.
Vera. Jeremy. Die neue Wohnung. In der Kate noch nie gewesen war.
Einer von Jeremys Söhnen hatte die SMS geschrieben? Möglich, dass Amelia einen von ihnen irgendwo kennengelernt hatte. Die Welt der Privatschulen von Manhattan und Brooklyn war ziemlich übersichtlich. Sie konnten sich auch bei dem von der Kanzlei veranstalteten Picknick im vergangenen Jahr begegnet sein. Aber warum hätte einer von Jeremys
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