Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
Joghurteis, das wir uns bei Yogo Monster auf der Seventh Avenue geholt hatten. Es war sonnig, wir trugen beide eine Sonnenbrille und eine leichte Jacke und taten so, als wäre es warm genug, um draußen zu sitzen und Frozen Yoghurt zu essen. Ich ließ mein Handy in die Tasche gleiten, damit Sylvia die SMS nicht lesen konnte.
» Von meiner Mom. «
» Mitten am Tag? « , fragte Sylvia verwundert. » Schreck lass nach. Wenn sie so weitermacht, wird sie noch zur Mutter des Jahres gekürt. «
» Hör auf, Sylvia « , sagte ich. » Ich hab jetzt keine Lust auf so was. «
Außerdem war ich ziemlich frustriert, weil meine Mom und ich am Abend zuvor nicht zum Reden gekommen waren. Sie schlief tief und fest, als ich vom Babysitten nach Hause kam, die Brille noch auf und das New York Magazine in den Händen. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, sie zu wecken.
Am nächsten Morgen war ich zu dem Schluss gekommen, dass ich doch noch nicht so weit war, ihr von Dylan zu erzählen. Irgendwann würde ich es tun. Aber jetzt noch nicht. Ich liebte meine Mom, und wir standen uns sehr nahe, doch wenn ich daran dachte, wie sie mir erklärt hatte, wo die kleinen Kinder herkommen, lief mir immer noch ein eiskalter Schauer über den Rücken. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, es so normal wie möglich darzustellen, trotzdem hatte es alles irgendwie ekelhaft geklungen. Und jetzt ging es darum, dass ich Sex hatte. Selbst wenn ich das mit dem Sex ausließ, ging es immer noch darum, dass ich mit einem Mädchen zusammen war. Vielleicht wäre es genauso, als würde ich ihr erzählen, dass ich mit einem Jungen ging, aber es kam mir viel komplizierter vor.
Sylvia zuckte die Achseln. » Egal, vergiss es. «
Ich sah mich auf dem Schulhof um.
» Wo ist Ian überhaupt? «
Ich hatte keine Lust mehr, mit Sylvia über das Thema zu reden, und mit Ian konnte ich sie immer ablenken.
» Wo Ian ist? « , sagte sie missmutig. » Gute Frage. Und zwar eine, die ich dir nicht beantworten kann, weil ich den ganzen Tag noch nichts von dem Arschloch gehört hab. «
» Arschloch? « , fragte ich. So hatte ich Sylvia noch nie über Ian reden hören. Nicht mal im Scherz. » Was ist denn mit dir los? «
» Hallo? Ich hab dir gestern Abend ’ne SMS geschickt. Checkst du nicht mal mehr deine SMS ? «
» Ah, ja, dieses g R a C e FULLY -Dings. Komm schon, Sylvia, glaubst du so einen Scheiß etwa? Das hat sich doch jemand aus den Fingern gesogen. «
» Nein, nicht alles « , sagte sie. » Da stand schon jede Menge Zeug über mich, von dem ich wünschte, es wäre nicht wahr. «
» Egal, ich glaub’s nicht « , sagte ich. » Ian ist doch ganz verrückt nach dir. «
Und das stimmte. Ich hatte Ian auf einigen Maggie-Partys gesehen. Er hätte jede Menge Gelegenheiten gehabt fremdzugehen, vor allem mit Zadie, die sich ihm in einem fort an den Hals warf. Aber soweit ich wusste, war er nie darauf eingegangen. Ich hatte ihn kein einziges Mal mit einer anderen gesehen. Sylvia schaute in ihren Becher mit fettarmem Joghurteis mit Schokostreuseln und stocherte mit ihrem Löffel darin herum.
» Also, in letzter Zeit macht er sich jedenfalls ziemlich rar. Und dann kommt er mir immer mit so dämlichen Ausreden, dass sein Dad plötzlich eine Vernissage hat oder dass seine kleine Schwester zum Arzt muss. Oder dass seine Mom ihm ein Vorstellungsgespräch bei einem Künstleragenten organisiert hat. Echt mal, gibt es so was überhaupt? «
» Wenn es Künstleragenten gibt « , sagte ich, » dann könnte ich mir vorstellen, dass Ian einen hat. «
Sylvia verdrehte die Augen, dann ging ihr Blick nach innen. Ich hatte Angst, sie würde gleich weinen. Wenn Sylvia wütend war, war es schon schlimm genug. Aber wenn sie traurig war, war es ganz furchtbar. Sie schrumpfte in sich zusammen wie ein Luftballon, bei dem die Luft rausgelassen wurde.
» Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man betrogen wird « , sagte sie leise. Als sie mich anschaute, waren ihre Augen feucht. » Es fühlt sich genauso an. Und es ist total beschissen. «
» Vielleicht braucht er einfach ein bisschen Freiraum oder so. «
Aber Sylvia hatte recht. Ihr Instinkt hatte sie in der Hinsicht noch selten getrogen. Ich musste wieder an Zadie denken. Bei einer wie ihr war es vielleicht nur eine Frage der Zeit.
» Freiraum, klar « , sagte Sylvia und lachte, aber sie fand es nicht lustig. » Um ’ne neue Schlampe zu finden. «
» Das hab ich nicht gemeint. «
» Danke, dass du versuchst, mich aufzubauen, Amelia.
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