Die letzte Walstatt - Covenant 03
sich wieder in Hilflosigkeit versinken fühlte. Aber sie war zu müde – stak zu sehr voller Grausen vor der Arbeit, die ihr noch bevorstand. Sie wußte nicht, wie sie ihn trösten sollte, und deshalb verzichtete sie auf jeden derartigen Versuch. Als er von neuem in unruhigem Schlummer lag, murmelte sie über ihm bloß »Erbarmen!«, ehe sie sich abwandte.
Am liebsten hätte sie gleichfalls geschlafen, aber sie war allein und mußte die Last aller sonstigen Fürsorge selbst tragen. Während sie aufgrund der Lahmheit ihrer alten Gelenke stöhnte, entfachte sie mit ihrem Glutgestein ein neues Feuer und machte sich daran, für sich und den Kranken eine Mahlzeit zuzubereiten.
Sie untersuchte seinen Knöchel, während sich das Essen erwärmte. Gleichgültig nickte sie, als sie feststellte, daß der Knöchel genauso heil war wie ihrer. Schon verblaßten die hellen Narben. Bald würden die Knochen so gesund und stark sein, als wären sie nie gebrochen gewesen. Sie wünschte, während sie die Resultate ihrer Macht betrachtete, sie könne daran Freude empfinden. Doch die Fähigkeit, an den Ereignissen ihrer Quälerei Freude zu haben, war ihr bereits vor Jahrzehnten abhanden gekommen. Sie wußte genau, hätte sie, als sie jung war, über die Konsequenzen ihrer Entscheidungen volle Klarheit besessen, sie wäre niemals in die Versuchung geraten, am Ritus der Freischüler-Weihe teilzunehmen, wäre nie dem Bann der geheimen Macht erlegen, die in ihrem Innern nach Entfaltung gedrängt hatte.
Aber dem Einfluß der Macht konnte man sich nicht so leicht entziehen. Man kannte ihren Preis nicht wirklich, bis man ihn zahlen mußte, und inzwischen diente die Macht nicht länger ihrem Besitzer. Mittlerweile war ihr Besitzer ihr Diener geworden. Keine Flucht, kein Friede und keine Zurückgezogenheit vermochten dann noch den Preis herunterzuschrauben. Dann machte das Heilen nicht länger Freude. Angesichts der Arbeit, die sie nun noch zu leisten hatte, die hier in Gestalt einer schweren Heimsuchung vor ihr lag, verspürte sie so wenig Befriedigung, wie sie eine Wahl besaß.
Aber sie ging erneut ans Kochen, kehrte dem Jammer den Rücken. »Schweigen wir davon«, murmelte sie dumpf. »Schweigen wir davon. Wie auch immer, es muß fein säuberlich getan werden ... ohne Makel.« Zumindest bedeutete die Arbeit, die es noch zu erledigen galt, zur Abwechslung eine völlig andere Art von Qual.
Als die Mahlzeit fertig war, aß sie, fütterte Covenant und flößte ihm abschließend mehr von der einschläfernden Brühe ein, damit er nicht noch einmal aufstand und zu Gewalttätigkeiten schritt. Dann legte sie Asche ans Feuer, hüllte sich fest in ihren abgeschabten Umhang und bettete sich altersschwach zum Schlafen, gegen den Haufen Laub gelehnt, der sich bis vor kurzem als ihr Lager bewährt hatte.
An den folgenden Tagen ruhte sie, behandelte Covenants Wahnsinn und versuchte, sich auf ihren einstigen Mut zu besinnen. Seine Not ließ ihr Herz sich in ihrem alten Busen aufbäumen. Selbst in seinem Schlummer sah sie ihm an, daß seine eingefleischten Martern seinen Verstand fraßen. Indem seine Körperkräfte wiederkehrten, verlor ihr Schlaftrunk allmählich an Wirkung, konnte die Ruhelosigkeit seines von Träumen aufgewühlten Schlafs nicht länger mäßigen. Er begann mit den Armen um sich zu schlagen und fiebrig wirres Zeug zu brabbeln, ganz wie ein Mensch, der im Durcheinander eines Alptraums gefangen ist. In unerwarteten Momenten entstanden in seinem Ring weiße Leuchterscheinungen der Leidenschaft; und wenn der Blick der Heilerin sie zufällig voll erfaßte, schienen sie sie zu durchdringen wie eine Stimme des Elends, sie anzuflehen, ihr Werk zu vollenden.
Der Wald selbst gab seiner Sorge Ausdruck. Seine Stimmung bedrängte sie wie eine Forderung, erlegte ihr sein Verlangen so unmißverständlich auf, wie er sie anfangs zum Eingreifen gezwungen hatte. Sie begriff nicht, wieso Morinmoss so viel an diesem Mann lag; sie spürte nur seine Anteilnahme, als ob Autorität zur Warnung mit der Hand ihre Wange streife. Er mußte geheilt werden. Und zwar rechtzeitig, sonst würde die innere Substanz seines Wesens so verderben, daß ihre Verfassung jede Wiederherstellung ausschloß.
Dadurch kam ihr schließlich wieder der Zeitablauf zu Bewußtsein; aus der Helligkeit im Schimmer der Bäume erahnte sie, daß irgendwo hinter den undurchdringlichen Wolken ein Mond seine Bahn zog, sich auf eine neue Phase der Macht des Verächters vorbereitete. Sie zwang
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