Die letzte Zeugin
immer weiter aus ihm heraus, floss so heftig wie der Regen draußen. »Wir rufen Hilfe.«
»Ich habe das Telefon verloren. Keegan, er hat Verbindungen – im FBI , er wird protegiert. Er ist schnell aufgestiegen. Weiß nicht, wer sonst noch seine Finger drin hat. Kann ich auch nicht wissen. Nicht sicher, Mädchen. Nicht sicher.«
»Du musst still liegen bleiben. Ich muss die Blutung stoppen.« Druck, sagte sie sich. Mehr Druck.
»Sie hätten mich mehr drängeln müssen, dass ich etwas anderes plane. Nicht sicher. Hör zu. Hör zu.« Er umklammerte ihr Handgelenk. »Du musst hier raus. Klettere aus dem Fenster, spring runter. Auf jeden Fall musst du weglaufen. Versteck dich.«
»Ich lasse dich nicht allein.«
»Doch, du gehst. Nimm dein Geld. Der Polizei kannst du nicht trauen, jedenfalls im Moment nicht. Da steckt noch etwas anderes dahinter. Nimm dein Geld, was du sonst noch brauchst. Schnell, verdammt noch mal. Beweg dich!«
Sie gehorchte, damit er ruhig blieb. Aber sie würde ihn nicht alleinelassen.
Sie stopfte das Geld in eine Tasche, ein paar Kleidungsstücke, ihren Laptop.
»So. Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Jemand kommt und hilft dir.«
»Nein, zu spät, Liz. Ich habe einen Bauchschuss, habe zu viel Blut verloren. Ich schaffe es nicht mehr. Ich kann dich nicht beschützen. Du musst weglaufen. Nimm meine Ersatzwaffe – Knöchelhalfter. Nimm sie. Wenn einer dich sieht und hinter dir herkommt, benutz sie.«
»Verlang nicht von mir, dich zu verlassen. Bitte, bitte.« Sie drückte ihr Gesicht an seines. Er war so kalt. Viel zu kalt.
»Ich befehle es dir. Das ist mein Job. Mach mich nicht zum Versager. Geh. Geh jetzt.«
»Ich hole Hilfe.«
»Lauf. Bleib nicht stehen. Sieh dich nicht um. Aus dem Fenster. Jetzt.«
Er wartete, bis sie am Fenster stand. »Zähl bis drei«, befahl er und kroch zur Tür. »Und dann los! Ich halte sie dir vom Leib.«
»John!«
»Mach mich stolz, Liz! Zähl!«
Sie zählte und stieg aus dem Fenster. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, als sie sich an das Fallrohr schwang. Sie wusste nicht, ob es sie halten würde, aber es spielte auch keine Rolle. Und dann hörte sie Schüsse und ließ sich wie ein Affe hinabgleiten.
Ich hole Hilfe, sagte sie sich und begann zu rennen.
Sie war kaum fünfzig Meter vom Haus entfernt, als es hinter ihr in die Luft flog.
Brooks
Dies über alles – sei dir selber treu.
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.
William Shakespeare, Hamlet
7
Arkansas 2012
Manchmal ging es einem gewaltig auf die Nerven, Polizeichef in einer Kleinstadt zu sein, die in den Ozarks lag wie eine schläfrige Katze in der Beuge eines Ellbogens.
Zum Beispiel, wenn man einen Typen, mit dem man in der Highschool befreundet gewesen war, verhaften musste, weil er sich zu einem Arschloch entwickelt hatte. Allerdings empfand Brooks die Tatsache, dass er ein Arschloch war, eher als gottgegeben und nicht als kriminellen Tatbestand. Im Moment jedenfalls schlief Tybal Crew seinen Rausch nach mehreren Gläsern Whiskey zu viel aus.
Brooks trank selbst ganz gerne bei Gelegenheit einen Whiskey, ein weiteres gottgegebenes Recht. Aber wenn das unweigerlich dazu führte, dass ein Mann nach Hause taumelte und seine Frau verprügelte, dann war das natürlich schon ein krimineller Tatbestand.
Und es ging ihm tierisch auf die Nerven.
Und noch mehr ging ihm auf die Nerven, dass Missy Crew – frühere Vize-Captain der Bickford Senior High School Cheerleaders – noch vor Mittag in die Wache stürmen und behaupten würde, dass Ty sie keineswegs verprügelt hätte. O nein. Sie war vor die Tür gelaufen, gegen die Wand, die Treppe hinuntergefallen.
Und kein Gespräch, kein Mitleid, keine Wut, kein Charme, keine Drohungen würden sie – oder ihn – überzeugen, dass sie Hilfe brauchten. Sie würden sich küssen und sich versöhnen, als sei Ty mindestens ein Jahr lang weg gewesen, und dann würden sie nach Hause gehen und wahrscheinlich wie die Kaninchen rammeln. In ein oder zwei Wochen würde Ty erneut eine Flasche Whiskey in die Finger bekommen, und alles würde von vorne anfangen.
Brooks saß in seiner Lieblingsnische in Lindys Café und grübelte über die Situation nach, während er frühstückte. Niemand konnte so gut Eier und knusprigen Speck braten oder Fritten machen wie Lindy, aber selbst das ganze Fett heiterte Brooks nicht auf.
Vor sechs Monaten war er nach Bickford zurückgekehrt, um nach dem Herzinfarkt
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