Die letzte Zeugin
Lesen. Nur dass sie nun auch Musik hörte und Filme auf DVD oder im Fernsehen sah. Sie fand sogar, dass sie mittlerweile den Jugendslang beherrschte, weil den ganzen Sommer über Wiederholungen von Buffy – Im Bann der Dämonen gezeigt wurden. Wenn sie wieder aufs College ging, würde sie sich viel besser einfügen, weil sie einfach besser Bescheid wusste.
Und sie hatte viel trainiert. Sie machte ihre Schießübungen, hatte Selbstverteidigung und Poker gelernt. Nichts jedoch machte Julie wieder lebendig, und es war sinnlos, so zu tun als ob. Da machte es wesentlich mehr Sinn, über die Vorteile ihres eingeschränkten Lebens nachzudenken.
Sie würde nie Chirurgin werden.
Irgendwann würde sie eine neue Identität annehmen, ein neues Leben führen und einen Weg finden, um das Beste daraus zu machen. Sie konnte studieren, was sie wollte. Zwar hatte sie das Gefühl, dass es keine Option mehr war, zum FBI zu gehen, aber sie fragte nicht danach. Es mochte ja dumm sein, aber solange sie keine definitive Antwort bekam, blieb immer noch ein Funken Hoffnung.
Sie fügte sich der Routine und gewöhnte sich daran.
Ihr Geburtstag änderte nichts an ihrem Alltag. Er bedeutete lediglich, dass sie heute siebzehn wurde. Sie fühlte sich nicht anders und sah auch nicht anders aus. Dieses Jahr würde es kein Geburtstagsessen geben – Rinderfilet mit gegrilltem Gemüse und danach Karottenkuchen – und auch nicht das Auto, das ihre Mutter ihr versprochen hatte. Natürlich nur, wenn ihre schulischen Leistungen und ihr Betragen nichts zu wünschen übrig ließen.
Es war einfach nur ein weiterer Tag, der sie ihrem Auftritt vor Gericht und der Freiheit, die sie sich davon versprach, näher brachte.
Da weder Terry noch John ihren Geburtstag erwähnten, nahm sie an, sie hätten ihn vergessen. Und warum sollten sie schließlich auch daran denken? Sie schenkte sich selber einen freien Tag und beschloss, sich etwas Besonderes zum Essen zu machen – nicht Rinderfilet –, um ein wenig zu feiern.
Draußen schüttete es wie aus Kübeln, aber sie sagte sich, dass es dadurch in der Küche nur noch heimeliger wurde. Sie überlegte, ob sie auch einen Kuchen backen sollte, aber das erschien ihr zu egoistisch. Außerdem hatte sie sich am Backen noch nicht wirklich versucht. Spaghetti und Fleischklöße ohne Rezept kamen ihr schon herausfordernd genug vor.
»Gott, das riecht ja toll.« Terry blieb mitten in der Küche stehen und atmete tief ein. »Du bringst mich beinahe auf den Gedanken, dass ich langsam mal lernen sollte, etwas anderes zu mir zu nehmen als immer nur Big Macs und Cheeseburger.«
»Ich mache das gerne, vor allem, wenn es etwas Neues ist. Fleischklößchen habe ich noch nie gekocht. Es hat Spaß gemacht.«
»Wir haben alle unseren Spaß daran.«
»Ich kann dir ein bisschen Sauce und Fleischklößchen in einen Behälter füllen, damit du sie mit nach Hause nehmen kannst. Du müsstest dann nur noch Pasta dazu kochen. Ich habe genug gemacht.«
»Nun, Lynda hat sich krankgemeldet, deshalb sind heute Bill und Steve Keegan da. Die beiden helfen dir bestimmt beim Aufessen.«
»Oh, das tut mir leid, dass es Lynda nicht gutgeht.« Routine, dachte Elizabeth. Sie erschrak immer, wenn sie sich änderte. »Kennst du Marshal Keegan?«
»Nicht wirklich. John kennt ihn ein bisschen. Er ist seit fünf Jahren dabei, Liz. Mach dir keine Sorgen.«
»Nein, mache ich nicht. Ich brauche wahrscheinlich nur immer ein bisschen Zeit, um mich an neue Leute zu gewöhnen. Aber es ist egal. Ich werde nach dem Abendessen lesen und dann früh zu Bett gehen.«
»An deinem Geburtstag?«
»Oh.« Elizabeth errötete ein wenig. »Ich war mir nicht sicher, ob du es weißt.«
»Hier gibt es keine Geheimnisse.« Lachend schnüffelte Terry an der Sauce. »Ich weiß ja, dass du gerne liest, aber fällt dir an deinem Geburtstag nichts Lustigeres ein?«
»Nicht wirklich.«
»Dann brauchst du Hilfe.« Sie tätschelte Elizabeth die Schulter und ging hinaus.
Lesen machte Spaß, dachte Elizabeth. Sie blickte auf die Uhr und stellte fest, dass bald Schichtwechsel war. Die Sauce konnte noch köcheln, bis Bill und sein neuer Deputy essen wollten, aber sie hatte wirklich viel gemacht, deshalb würde sie für John und Terry trotzdem etwas einpacken.
Wie ein umgekehrtes Geburtstagsgeschenk, dachte sie.
»Hier kommt Hilfe.«
Elizabeth, die gerade passende Behälter aus dem Schrank holen wollte, drehte sich um.
Terry stand grinsend in der Küche und hielt eine
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