Die letzte Zeugin
war so unzugänglich, dass ein durchschnittlicher Eremit neben ihr wie eine Partybiene wirkte.
Sie besaß einen großen, wuchtigen schwarzen SUV , mit dem sie allerdings nicht besonders viel in der Gegend herumfuhr, wie er feststellte.
Soweit er sagen konnte, blieb sie auf ihrem Stückchen Land, das gepflegt und hübsch ordentlich war, wie die Leute von FedEx und UPS , die er subtil über sie ausgefragt hatte, ihm berichteten. Er wusste, dass sie sowohl Gemüse als auch Blumen im Garten zog, dass sie ein Gewächshaus hatte und einen massiven Bullmastiff, der auf den Namen Bert hörte.
Sie war Single – zumindest lebte außer Bert keiner bei ihr –, und sie trug keinen Ring. Die Botenjungs sagten, sie sei höflich und großzügig, gebe Trinkgeld an Weihnachten, aber ansonsten sei sie distanziert.
Die meisten Leute in der Stadt fanden sie merkwürdig.
»Soll ich dir noch mal nachschenken?«, fragte Kim, seine Kellnerin, und hob die Kaffeekanne.
»Ja, gerne, danke.«
»Anscheinend wirkt es. Du hast stinksauer ausgesehen, als du hereingekommen bist; und jetzt lächelst du.« Sie tätschelte ihm die Wange.
Sie benahm sich wie seine Mutter, und er musste unwillkürlich noch breiter grinsen, da sie gerade mal fünf Jahre älter war als er. »Das hält den Motor am Laufen.«
»Ich würde sagen, sie lässt ihn laufen.« Kim wies mit dem Kinn auf Abigail, die in den Lebensmittelladen an der Ecke ging. »Sie sieht toll aus, aber sie ist schon merkwürdig. Sie lebt seit fast einem Jahr hier und hat noch nicht einen Fuß hier herein oder in die anderen Restaurants gesetzt. Sie geht auch kaum in die anderen Läden. Meistens bestellt sie alles online.«
»Das habe ich auch schon gehört.«
»Nichts gegen Einkäufe im Internet. Das mache ich selber auch. Aber wir haben hier in der Stadt doch eine Menge zu bieten. Und sie redet kaum. Sie ist zwar immer höflich, kriegt aber kaum den Mund auf. Die meiste Zeit hält sie sich da oben in ihrem Haus auf. Ganz allein.«
»Ruhig, gute Manieren, lebt zurückgezogen. Sie ist bestimmt ein Serienkiller.«
»Brooks.« Kim schnaubte und trat kopfschüttelnd an den nächsten Tisch.
Er gab ein wenig Zucker in seinen Kaffee und rührte ihn langsam um, den Blick auf den Lebensmittelladen gerichtet. Es gab eigentlich keinen Grund, warum er nicht einmal hinübergehen sollte. Er bummelte gerne. Vielleicht würde er ein paar Dosen Cola für die Wache kaufen oder … es würde ihm schon etwas einfallen.
Brooks hob die Hüfte an, um sein Portemonnaie hervorzuziehen. Er nahm ein paar Scheine heraus und glitt aus seiner Nische.
»Danke, Kim. Bis später, Lindy.«
Die Bohnenstange mit dem grauen Zopf, der ihm bis zum Hintern reichte, grunzte und winkte mit dem Kochlöffel.
Er schlenderte hinaus. Er war genauso groß wie sein Vater, und da Loren seit dem Herzinfarkt Diät hielt, hatten sie auch beide die gleiche schlaksige Figur. Seine Mutter behauptete, seine tiefschwarzen Haare habe er von dem Algonquin-Krieger, der seine Urur- und wahrscheinlich noch ein Ur – Großmutter entführt und zu seiner Frau gemacht hatte.
Aber seine Mutter erzählte gerne alle möglichen Geschichten. Seine braunen Augen wechselten die Farbe von grünlich bis hin zu blauen Einsprengseln. Seine Nase war leicht nach links gebogen, was er einem Baseball-Spiel verdankte, in dem er zum falschen Zeitpunkt an der richtigen Stelle gewesen war. Frauen erzählte er manchmal, er habe sie sich bei einem Faustkampf gebrochen.
Genau wie seine Mutter erzählte auch er gerne alle möglichen Geschichten.
Im Feinkostladen gab es schickes Essen zu schicken Preisen. Er mochte den Duft nach frischen Kräutern, die leuchtenden Farben der Produkte, die glänzenden Flaschen mit Spezialitäten-Ölen, sogar die schimmernden Küchengeräte, von deren Verwendung er nicht die leiseste Ahnung hatte.
Seiner Meinung nach brauchte ein Mann lediglich ein paar gute Messer, einen Kochlöffel und einen Schaumlöffel. Alles andere war pure Angabe.
Außerdem, wenn er Lebensmittel einkaufen musste – eine Pflicht, die er hasste wie Rattengift –, dann ging er zu Piggly Wiggly.
Sie fiel ihm sofort auf, weil sie eine Flasche teures Öl aussuchte und dann einen dieser seltsamen Essige. Und obwohl es nicht ganz so auffallend war, sah er sofort, dass sie unter ihrer Kapuzenjacke eine Waffe trug.
Nachdenklich schlenderte er den Gang entlang.
»Ms Lowery.«
Sie drehte sich um, und er sah zum ersten Mal ihre Augen. Groß und grün wie Moos am
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