Die letzte Zeugin
»Wahrscheinlich ist nur jemand falsch abgebogen. Ich sollte ein Tor anbringen, aber der Paketbote kommt so oft.«
Stirnrunzelnd blickte sie dem Auto entgegen. Dann trat sie an den Computer und holte es sich näher heran.
»Ach, du liebe Güte! Was will der denn jetzt schon wieder?«
Bert begann leise zu knurren. »Kissen!« Bei ihrem Codewort dafür, dass er sich zurückhalten sollte, entspannte sich der Hund wieder, behielt sie jedoch genau im Auge. »Kissen«, wiederholte sie und gab ihm ein Zeichen mitzukommen.
Bert fiel es leicht, unerwünschte Besucher zu entmutigen.
Sie deaktivierte den Alarm, entriegelte die Haustür und trat hinaus auf die Veranda. Der Polizeichef parkte hinter ihrem SUV .
Es machte sie ganz nervös. Er versperrte ihr zwar nicht direkt den Weg, wenn es nötig war, kam sie an ihm vorbei. Aber die Absicht war da, und das gefiel ihr nicht.
»Ms Lowery.«
»Chief Gleason. Gibt es ein Problem?«
»Nun, komisch, dass Sie fragen, weil ich eigentlich Ihnen diese Frage stellen wollte. Aber bevor ich das tue, lassen Sie mich sagen, dass dies wirklich ein beeindruckender Hund ist.«
»Ja, das ist er.«
Er stand ganz entspannt vor ihr, die Daumen in den Vordertaschen seiner Hose eingehakt. Aber seine Augen, bemerkte Abigail, beobachteten sie scharf. Er besaß Autorität.
»Geht er mir an die Kehle, wenn ich zu Ihnen komme?«
»Erst wenn ich es ihm sage.«
»Das lassen Sie lieber. Sollen wir nicht hineingehen?«
»Warum?«
»Es ist freundlicher. Aber wir können auch hier draußen bleiben. Es sieht gut aus hier. Besser als in meiner Erinnerung.« Er nickte zu einem Beet, das sie mit schwarzer Plastikfolie abgedeckt hatte. »Wollen Sie Blumen oder Gemüse pflanzen?«
»Blumen. Wenn Sie extra hierhergekommen sind, um mich zu fragen, ob es ein Problem gibt, kann ich Ihnen nur sagen, dass es keins gibt.«
»Dann muss ich Ihnen noch eine Frage stellen. Warum tragen Sie eine Waffe?«
Sie wusste, dass er ihr ihre Überraschung angesehen hatte, und wünschte sich, sie hätte eine Sonnenbrille aufgesetzt. »Ich lebe allein. Ich kenne Sie nicht, und Sie sind unangemeldet gekommen. Deshalb habe ich eine Pistole und den Hund zu meinem Schutz. Ich habe einen Waffenschein.«
»Das ist gut. Sie haben allerdings diese Pistole auch bei sich gehabt, als Sie Ihren schicken Essig gekauft haben. Im Lebensmittelladen werden Sie ja wohl kaum Schutz gebraucht haben.«
Er beobachtet wirklich scharf, dachte sie wieder und haderte mit sich, weil sie keine kleinere Waffe mitgenommen hatte. »Ich habe einen Waffenschein für verborgenes Tragen. Es ist alles völlig legal.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihren Waffenschein gerne sehen.«
»Doch, es macht mir etwas aus. Warum sagen die Leute so etwas immer, wenn sie doch genau wissen, dass es der Person, zu der sie es sagen, etwas ausmacht?«
»Leere Floskel vermutlich.« Sein Tonfall war freundlich, geduldig – eine Begabung und auch eine Art Waffe. »Ich möchte Ihren Waffenschein sehen, um mich zu vergewissern, dass alles seine Ordnung hat – Abigail, nicht wahr?«
Sie drehte sich wortlos um und holte ihre Schlüssel heraus. Dabei spürte sie, dass er ihr folgte. »Ich bringe ihn heraus.«
»Wissen Sie, ich frage mich, warum Sie so versessen darauf sind, mich aus dem Haus zu halten. Haben Sie eine Drogenküche, ein Bordell, oder basteln Sie Bomben?«
»Nichts dergleichen.« Ihre Haare, die ihr goldbraun bis zur Schulter reichten, schwangen mit, als sie sich umdrehte. »Ich kenne Sie nicht.«
»Brooks Gleason, Polizeichef.«
Ja, dachte sie, jemand, der in so freundlichem Tonfall und mit so nettem Lächeln sarkastische Bemerkungen machen konnte, hatte tatsächlich Talent.
»Ihr Name und Ihre Tätigkeit ändern nichts an der Tatsache, dass ich Sie nicht kenne.«
»Ein Punkt für Sie. Aber Sie haben einen gewaltigen Hund, der mich ganz böse ansieht, weil er weiß, dass Sie aufgebracht sind und ich der Grund dafür bin. Er wiegt mindestens hundertzwanzig Pfund.«
»Hundertdreiunddreißig.«
Brooks musterte Bert. »Ich bin ihm dreißig Pfund voraus, aber er hat schärfere Zähne, und Sie haben eine Waffe.«
»Sie auch.« Sie öffnete die Tür, und als Brooks eintreten wollte, hob sie die Hand. »Ich möchte, dass Sie hier warten. Ich lasse den Hund zur Bewachung bei Ihnen. Wenn Sie nicht hierbleiben, hält er Sie fest. Sie haben nicht das Recht, mein Haus zu betreten.«
»In Ordnung.«
»Bert. Halt fest.« Sie wandte sich zur Treppe
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