Die letzte Zeugin
ganz lieb. Er ist ihr treu ergeben, das konnte ich sehen, weil er sich nie mehr als einen Meter von ihr entfernt hat. Er ist wirklich ein lieber Hund und sicher ein treuer Gefährte. Aber dieses Mädchen braucht einen Freund. So, und jetzt muss ich in den Feinkostladen und ein paar Sachen einkaufen, die mir noch fehlen, um dieses Rezept auszuprobieren, das sie mir gegeben hat.«
»Ma, ich will nicht, dass du sie besuchst, ehe ich nicht mehr weiß.«
»Brooks.«
Er war zweiunddreißig Jahre alt, aber dieser Tonfall und dieser Blick ließen ihm immer noch das Blut in den Adern gefrieren.
»Du bist ein erwachsener Mann, aber so weit ist es noch nicht gekommen, dass du mir vorschreiben kannst, was ich zu tun habe. Wenn du mehr über sie herausfinden willst, warum fährst du dann nicht zu ihr und redest freundlich mit ihr, wie ich das getan habe?«
»Soll ich ihr etwa auch Kuchen mitbringen?«
»Du könntest es ja mal mit einer Flasche Wein versuchen.«
Er nahm einen leichten Pinot Grigio mittlerer Preisklasse mit. Seiner Meinung nach wirkte das nett und freundlich ohne zu viele Hintergedanken. Außerdem fand er sowieso, dass er sich zu viele Gedanken darüber machte, deshalb hörte er auf zu denken und fuhr einfach zu ihr hinaus.
In der Nacht zuvor hatte es stark geregnet, und jetzt war alles noch ein bisschen grüner. Die Abendsonne schimmerte durch das knospende Grün der Bäume und funkelte auf den Wellen des kleinen Bachs, der durch den Wald plätscherte.
Langsam fuhr er durch die Schlaglöcher ihre Zufahrt hinauf. Aus ihrem Schornstein kam Rauch.
Dann sah er sie.
Der Hund stand bei Fuß an ihren kniehohen schwarzen Stiefeln. Sie trug Jeans, eine schwarze Lederjacke und eine Pistole an der Hüfte.
Er beschloss, gar nicht erst darüber nachzudenken, dass er in diesem Moment alles an ihr unglaublich sexy fand. Aber es war tatsächlich so – ihm gefiel sogar ihr verärgerter Gesichtsausdruck.
Er schnappte sich die Weinflasche und stieg aus.
»Abend.« Er schlenderte auf sie zu, als habe sie weder eine Glock noch einen Hund, der ihm wahrscheinlich die Zähne in die Halsschlagader schlagen würde, bevor er seine eigene Waffe aus dem Halfter ziehen konnte.
Sie musterte die Flasche, die er bei sich hatte. »Was ist das?«
»Mehreres auf einmal. Zum einen ist es eine nette Flasche Wein. Zum anderen ist es eine Entschuldigung.«
»Wofür?«
»Meine Mutter. Ich war vorgestern Abend bei ihr zum Abendessen und habe erwähnt, dass ich hier draußen war. Das hat sie gleich zum Anlass genommen, ebenfalls vorbeizukommen. Also … Entschuldigung für ihr Eindringen.«
»Und jetzt dringen Sie hier ein, um sich für das Eindringen Ihrer Mutter zu entschuldigen?«
»Im Grunde genommen – ja. Aber es ist wirklich ein ganz guter Wein. Und, waren Sie spazieren?«
»Warum?«
»Sie haben Schlamm an den Stiefeln. Gestern Nacht hat es geregnet. Alles wird grüner, aber auch matschiger. Tragen Sie immer eine Waffe, wenn Sie mit Ihrem Hund rausgehen?«
Sie trug immer eine Waffe, aber das ging ihn überhaupt nichts an. »Ich habe Schießübungen gemacht. Der Wein war nicht nötig.«
»Wein ist nie nötig, aber er macht das Leben schöner.« Er drehte sich so um, dass die strohgelbe Flüssigkeit in der Sonne funkelte. »Wo befindet sich denn Ihr Schießstand?«
»Warum stellen Sie eigentlich so viele Fragen? Warum kommen Sie ständig hierher mit Ihrem Wein und Ihrem Kuchen? Was ist bloß mit Ihnen und den Leuten hier los? Warum grinsen Sie mich so an?«
»Welche Frage soll ich zuerst beantworten?« Als sie ihn nur mit einem steinernen Blick bedachte, zuckte er mit den Schultern. »In Ordnung. Ich bin von Natur aus neugierig und außerdem Polizist. Fragen gehören einfach dazu. Möglicherweise habe ich die Neugier auch von meiner Mutter geerbt, die aus ebendiesem Grund mit ihrem Kuchen hier aufgetaucht ist. Und weil sie eine freundliche Frau ist. Das mit dem Wein habe ich bereits erklärt. Wir sind eben so, wie wir sind. Möglicherweise sehen Sie das anders. Und gegrinst habe ich, weil ich mich gefragt habe, ob Sie nicht vielleicht insgeheim doch Temperament haben. Es bringt Sie zum Leuchten, und mir gefällt das Licht. Habe ich alle Fragen beantwortet?«
Seine Augen schimmerten wie Bernstein in der Abendsonne, und er hatte ein nettes Lächeln. Dieser leichte Plauderton war ihm angeboren, dachte sie. »Sie halten sich für charmant.«
»Ja. Das ist vielleicht ein Makel, aber wer will schon perfekt sein? Jetzt habe ich
Weitere Kostenlose Bücher