Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
lebensnotwendigen Gütern aufrechterhielten – eine gefährliche Aufgabe. Rosa konnte sich nicht vorstellen, warum man die Lieferung diesem Jungen anvertraut hatte. War es eine Art Initiationsritual? Oder vielleicht war das Unternehmen so arm und verzweifelt, dass es Kinder als Fahrer einsetzte und die Konsequenzen dafür riskierte, ihr den Tribut zu verweigern. Darum mussten sich ihre Bravos keine Sorgen machen. Aber eine bewaffnete Spedition wie die O’Malley-Organisation konnte tagtäglich vorbeikommen. Rosa musste dementsprechend planen.
Falco grinste sie an. »Kann’s losgehen, Jefa ?«
» Claro . Los geht’s.«
Mit geübter Leichtigkeit schwang sie sich auf den Beifahrersitz. Einer der anderen Bravos übernahm Falcos Motorrad. Falco konnte alles lenken, was Räder hatte, während Rosa als Kämpferin besser war, was manche chauvinistischen hijos de putas erst einmal verwirrte. Sie musste sie aber nur einmal niederschlagen, um sie diese spezielle Lektion zu lehren. Die Bravos formierten sich auf ihren Motorrädern rings um den Laster und dienten so als zusätzliche Abschreckung für jeden, der sich vielleicht mit ihnen anlegen wollte. Dennoch würde Rosa wachsam bleiben, bis sie wieder in Valle de Bravo waren.
Falco warf, eine Hand am Steuer, einen Blick zu ihr herüber. »Lassen wir es heute Abend im Tanzsaal krachen?«
Die Feuernacht war eine Tradition, die alle genossen, aber sie wussten, dass sie sich am Abend nach einem erfolgreichen Überfall keine gönnen durften. So etwas zog immer die Aufmerksamkeit der örtlichen Nomaden auf sich, die es nur auf Gelegenheiten abgesehen hatten, die Stadt zu überrumpeln. Besonders Peltz ließ sich keine entgehen. Er war gerissener als die meisten anderen. Aber Rosa war noch schlauer; das hatte sie immer sein müssen.
»Wir warten noch ein, zwei Nächte«, sagte sie. »Dann können wir die Sau rauslassen. Das haben die Bravos sich verdient.«
Der Alkohol würde für eine Mordsparty sorgen, obwohl die Männer mehr Spaß gehabt hätten, wenn mehr Frauen in der Stadt leben würden, aber Rosa hatte nichts gegen ihre einzigartige Machtstellung. Da das Zahlenverhältnis der Geschlechter sehr im Ungleichgewicht war, wussten die Bravos, dass sie keine Monogamie fordern konnten, denn sonst wären sie gar nicht mehr zum Zuge gekommen. Am Anfang hatte es einige Schwierigkeiten gegeben, aber zwei Hinrichtungen hatten dafür gesorgt, dass die restlichen Männer in Valle ihre Lektion gelernt hatten.
Nein heißt immer nein.
»Dann also du und ich?«
Rosa warf einen Blick auf ihren Stellvertreter und unterdrückte ein Seufzen. Falco war durchaus attraktiv, wenn man den rauen, muskulösen, sonnenverbrannten Typ zu schätzen wusste – braunes Haar mit helleren Strähnen, schöne blaue Augen. Aber sie durchschaute sein Spielchen. Er war zu dem Schluss gekommen, dass er, wenn er dauerhaft in ihr Bett einzog, de facto zum Boss werden würde. Nicht dass er ein schlechter Kerl gewesen wäre. Er hatte seine Absichten deutlich gemacht.
Aber das ließ sie sich nicht bieten.
Rosa schenkte ihm ein Lächeln, um ihre Worte weniger kränkend zu machen. »Das hättest du wohl gern, Falco. Du wärst mir nicht einmal halb gewachsen.«
Sie tat so, als wäre sie nicht angespannt, während sie auf seine Reaktion wartete, und streckte bewusst die Beine aus. Seiltanzen zum Spaß und fürs Geschäft. Sie hatte darauf geachtet, mit niemandem zu schlafen, um gar nicht erst als sexuelles Wesen betrachtet zu werden. Stattdessen war sie die kämpferische Madonna, für die alle zu sterben bereit waren.
»Irgendwann demnächst wirst du mein«, sagte er leichthin.
Na klar. Gleich nachdem die Hölle zugefroren ist, cabrón.
Als die Siedlung in Sicht kam, entspannte Rosa sich. Sie war an diesen Ort gekrochen, um zu sterben, aber das war zu ihrer Überraschung nicht geschehen. Monatelang hatte sie gejagt, gesammelt und ganz allein diese monströsen Höllenhunde getötet, weil sie zu zäh war, sich einfach hinzulegen und aufzugeben. Und dann hatte sie alles aufgebaut. Als nach und nach einzelne Überlebende aufgetaucht waren, hatte Rosa klargestellt, dass die Stadt ihr gehörte, ein Ort, an dem nur die Tapferen überlebten.
Sie wusste nicht, wie er früher geheißen hatte, nur wie er jetzt hieß: Valle de Bravo. Das Tal des Tapferen. Das Tal ihrer Krieger.
Die Landschaft dort war im Vergleich zu der trockenen Umgebung grün. Ein unterirdischer Fluss strömte durchs Tal und füllte die Brunnen.
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