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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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vielleicht sogar passiert, schon um zwischen ihn und Fredderik einen anderen Körper zu schieben, und dann auch noch den einer Frau, die optimale Demütigung für einen Schwulen. Aber Lotta hatte diese riesigen Augen. Kurz bevor er sie entschlossen in das Pflegeheim schieben wollte, um unter dem Dachjuchhee mit ihr gewaltig und lustvoll in die beinahe vergessenen heterosexuellen Gefilde einzubrechen, da hatte er beim Knutschen zwischen Gebüsch und Bushaltestelle in ihre Augen gesehen. Die Augen waren so aufgerissen, als würde er sie gerade erdrosseln anstatt sie in den siebenten Himmel der Glückseligkeit zu entführen, sie hatten ihn angestarrt, vielleicht auch aus Verzücken und um sich kein Detail des Geschehens entgehen zu lassen, jedenfalls wirkten diese Augen so starr, als habe das alles eine so übermäßige Bedeutung, dass er vor diesem Blick ausrutschte wie der Esel auf dem Glatteis.
    Hätte sie nicht die Augen zumachen können, wie sonst die Jungens auch? Dann hätten sie eine gute Nacht gehabt und fertig. Jetzt noch die Peinlichkeit, ihr täglich zu begegnen. Er hatte ein leicht schlechtes Gewissen. Weiber. Lotta tat, als wäre nie was gewesen. Diese Verstellungskunst. Dieses: Ach, dass du mich geküsst hast, hast du dir nur eingebildet, denn in Wahrheit war alles so belanglos, so was von belanglos, ich erinnere mich gar nicht! Alles verlogen! Ach, lieber nicht mehr dran rühren. Wollten sie nicht Herrn Kurtacker eine Nutte besorgen? Na ja, vielleicht ein andermal. Erst mal Gras über die Sache wachsen lassen.
    So, Frau Norken, jetzt mache ich Ihnen mal den Fernseher an, da kommt die Wiederholung vom Musikantenstadl, das ist doch was, oder?
    Frau Norken sah ihn an mit glasigem Blick und sagte gar nichts.
    Ivy fuhr ihr über die Haare, zog ihr noch ein Paar dicke Socken an, legte ein Strickjäckchen um ihre Schultern und einen Teddy in ihren Arm.
    So, dann viel Spaß mit Karl Moik!
    Das Bett ließ er liegen bis nach dem Frühstück und griff nur nach dem Pflegewagen und dem vollen Mülleimer.
    Fredderik, der Arsch, hatte sich nicht mehr gemeldet. Blödmann. Er durfte gar nicht dran denken. Das einzig Wichtige war, dass Ivy heute mal stundenlang trainierte. Der Oberarm machte ihm wirklich Sorgen, ganz eingefallen, das war nicht mehr normal, da mussten erst mal wieder Muckis drauf. Darum wollte er sich kümmern und um sonst nichts.

Zwölf Kännchen Kaffee   wackelten auf dem Tablett hin und her, als Lotta ihren Wagen schob. Die Kännchen hatten keine Deckel und ihre Zuten waren angeschlagen. Aber der Kaffee duftete über den ganzen Flur von Zimmer zu Zimmer und über die Gänge von Station zu Station durch das ganze Haus. Zehn Schnabelbecher wackelten ebenso und jeder Schnabelbecher hatte einen anderen Deckel. Gelbe Becher hatten blaue Deckel, blaue Becher hatten grüne Deckel und die meisten Becher waren gelblich weiß und ihre Schnäbel leicht zerbissen. Herr Schiwrin bekam von nun an den Schnabelbecher, aus der Tasse konnte er nicht mehr trinken.
    Lotta klopfte an die Türe. Nahm ein Tablett mit klein geschnittenem Brötchen und dem Milchkaffee und trug ihn in das Zimmer von Frau Wissmar.
    Hallo? Guten Morgen!
    Frau Wissmar hörte zunächst nicht richtig. Ihr Verstand pochte leise an die Tür, aber sie war so weit fortgewesen, so weit, sie musste aus solchen Tiefen emporklimmen, um zu sich zu kommen. Die Augen blinzelten und blinzelten, aber sie öffneten sich heute so schwer. Dann sah sie es, schwach weiß. Es kam ihr bekannt vor, tatsächlich. Eine frühe Erinnerung regte sich.
    Die weißen, aneinander gereihten Stäbe, wie ein Spalier, wie um ein Rosenbeet standen sie da, eine persönliche, weiße Wacht von Zinnsoldaten zu ihrem Schutze. Und tatsächlich fühlte Frau Wissmar sich wohl und geborgen, tastete mit ihren dürren Fingern an den Bettrand, griff zwischen die Gitterstäbe, sie lag in ihrem Kinderbettchen. Das hatte genauso ausgesehen. Als sie lungenkrank gewesen war und mit der Mutter nach Bad Pyrmont gefahren war. Deutlich erinnerte sie sich an die Stäbe.
    Frau Wissmar!!, klang es nun nachdrücklich. – Frau Wissmar? Wollen Sie nicht ein wenig frühstücken?
    Frau Wissmar trinkt nicht, hatte die Nachtschwester gesagt. – Ich habe es so oft versucht, sie nimmt das Wasser nicht an.
    Lotta ließ das Kopfteil vom Bett höher schweben und setzte Frau Wissmar damit unfreiwillig auf. Sie rutschte leicht zur Seite. Lotta legte ihr eine Serviette um und nahm den Schnabelbecher mit lauwarmem

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