Die letzten Dinge - Roman
nicht überziehen, dann platzte die Puppe und flog aus dem Fenster. Oder so. Lotta schaute noch mal in die Kaffeetasse, schwarzer Kaffee, gottseidank. Wenn sie ihm Milchkaffee gebracht hätte, dann wäre sie ihres Lebens nicht mehr sicher.
Wollen Sie aufstehen und frühstücken?
Hm, grunzte Kurtacker und konnte nur schwer in das Licht schauen, er blinzelte und das schwarze Haar fiel ihm in die Augen. Mit dem stoppeligen Bart sah er aus wie Räuber Hotzenplotz. Er setzte sich mühsam und unter vielem Stöhnen auf. Lotta ergriff mit einem Mal die Neugier und bevor sie noch überlegte und Herr Kurtacker richtig wach war, fragte sie auch schon.
Herr Kurtacker?
Hm?
Haben Sie eigentlich schon mal … ich meine …
Was denn, grunzte Kurtacker.
Ich meine, haben Sie schon mal … also, es ist doch so: Alle Männer auf der Welt waren ja schon mal im Puff.
Herr Kurtacker war schlagartig wach und schoss hoch und riss in seiner halbfinsteren Höhle die verschlafenen Augen auf.
Ich auch, ich auch!, hechelte er. War ich auch schon! Schon zweimal! Im Puff! Da hab ich sogar mal gearbeitet, früher, vor dem Unfall!
In seligem Glanz, in kostbarer, genüsslicher Vorstellung geriet er in eine Art Wiegestellung, streckte den Kopf zur Decke und fing an zu glucksen.
Da hatte ich, … da hatte ich sogar eine Negerin … und die … die war unten ganz rosa!
Kurtacker gluckste und Lotta seufzte. Kurtacker war einfach furchtbar. So genau hatte sie es gar nicht wissen wollen. Aber Kurtacker sprach weiter, auch für ihn war es ein guter Morgen: Ich … äm … ich wollte nur die Muschi gucken. Ich mag Muschis, sagte er. – Warum, hähä, dürfen Frauen keine grünen Unterhosen tragen?
Lotta schüttelte ratlos den Kopf.
Weil Schnecken gerne Salat fressen!
Herr Kurtacker schüttete sich aus vor Lachen, konnte nicht mehr, fiel zurück auf die Matratze vor lauter Witzigkeit und kriegte sich nicht mehr ein.
Ich, äm, ich habe Ihnen das Frühstück hierher gestellt, sehen Sie mal. Der Kaffee ist noch schön heiß, am besten Sie setzen sich gleich hierher.
Damit floh sie schnell aus dem Zimmer und schloss hinter sich ab. Mit Herrn Kurtacker war es immer dasselbe. Reichte man ihm den kleinen Finger, dann riss er einem den Arm ab und verprügelte einen damit. Er hatte kein Maß und kein Ziel. Keinen Verstand – nur dumpfen Trieb. Wie sollte man dem denn beikommen? Immer nur Pornovideos bringen? Und wenn man ihm tatsächlich eine Dame des horizontalen Gewerbes vorbeibrachte, dann würde selbst die runtergekommenste, abgefahrenste, abgebrühteste Nutte noch Angstzustände bekommen und davonlaufen. Trotzdem. Durfte man so jemanden in seinem Elend allein lassen? War das richtig?
Diese Fragen beschäftigten Lotta am frühen Morgen, als sie zu ihrem Wagen zurückkehrte. Noch drei Kaffeekännchen, zwei Tassen und einen Schnabelbecher. Mal nachdenken … mal nachdenken. Was machte man nur mit Herrn Kurtacker.
Der Schafstall war mit Heu und Stroh bedeckt, in den Ritzen der Raufe hingen alte Grashalme aus dem letzten Sommer, bald gab es frisches Heu. Die Wiesen waren wieder grün, Gänseblümchen standen überall, der Löwenzahn war aus den Körbchen geschlüpft, die ersten Bienen und Wespen flogen über die Wiesen. Die Schafe waren auf der Weide, der Stall war leer, die Tiere hatten den Winter gut überstanden.
Marie legte das Kind in die Krippe und streckte sich, denn der Rücken tat ihr weh, sie zupfte ein wenig Heu aus der Raufe und reinigte sich die Schuhe, die vom Schafsmist schmutzig waren. Im letzten Jahr hatte es das Kind noch nicht gegeben, da konnte sie noch nicht mal wissen, dass Albert aus dem Krieg zurückkehren würde. Noch immer trieb es Marie die Tränen in die Augen – dass er zurückgekommen war, dass sie ihn wiederhatte, ihren Albert, ihren Geliebten, ihren Ehemann, sie hatten geheiratet, kurz nachdem ihr Bauch sich wölbte. Sie hatte den einzigen Ehemann im Dorf. Alle anderen Männer waren fort und Marie musste sich vor dem Neid schützen. Das junge Glück verbergen, ihr Kind am Leib halten. Und so ging sie manchmal auf die Felder und sah nach den Tieren, nur um sich auszuschütten vor Glück, im Duft der Blumen und des Windes, im Anblick der Wiesen und des Tales, wenn die Schafe grasten und die Weide verließen, dann folgte sie ihnen, nur um ungestört zu springen und zu singen, wenn sie niemand sah, nur die Schafe und das Kind, dann konnte sie tanzen zwischen den Grasbüscheln und den Dornschlehen, so viel sie
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