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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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wollte, denn so viel Glück war nach dem Krieg verboten. Und Marie tanzte und sang und tanzte und sang und ihr Kind krähte, die Welt war so schön, das Leben war so schön.
    Es klopfte unbarmherzig an die Tür. Unwillig kehrte Frau Wilhelm aus ihren Träumen zurück, unwillig merkte sie, dass sie in einer Art Krankenhausbett lag. Weiß war alles um sie herum, da der Blumenstock von ihren Kindern. Ach, da saß ja Albert.
    Albert! Was machst du denn hier?
    Ich wollte dich besuchen, dir ein wenig die Zeit vertreiben!
    Albert, wie geht es dir?
    Ach, mir geht es gut, ich bin von allen Krankheiten befreit und ich sitze hier und warte auf dich. Hast du Schmerzen?
    Selig starrte Frau Wilhelm ihren Albert an. Wie gut, dass er da war. Wie schön. Wie tröstlich. Da ging die Tür auf und Lotta stolperte herein und stellte das Frühstück auf den Nachttisch.
    Guten Morgen!
    Guck mal! Da sitzt mein Mann!, rief Frau Wilhelm.
    Wie? Wo?
    Da im Sessel, da sitzt er doch!
    Lotta sah in den leeren Sessel mit dem Kissen und der Porzellanpuppe.
    Er sitzt auf der Puppe.
    Frau Wilhelm lachte.
    Ja, das macht ihm scheint’s nichts aus. Wir unterhalten uns schön.
    Äm … Lotta war neugierig. – Worüber unterhaltet ihr euch denn?
    Ach, über Krankheiten und so …
    Na dann, dann unterhaltet euch noch schön. Ich muss leider weiter und will auch nicht stören. Bis dann, Frau Wilhelm, tschüss, Herr Wilhelm.
    Lotta ging, Albert blieb, Frau Wilhelm rührte in ihrem Kaffee und erzählte Albert, wie sie geträumt hatte, von jenen Tagen nach dem Krieg, als er als Einziger aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war und wie geschwächt er gewesen war, so dünn, so kraftlos, aber nicht zu kraftlos um ein Kind zu zeugen in der ersten Nacht der Wiederkehr. Albert saß friedlich da, in seinem braunen Anzug, lächelte, sprach ihr gut zu und erhellte ihren grauen Morgen. Lotta hatte ihn nicht gesehen, die Putzfrau hatte ihn nicht gesehen, Rosalinde hatte ihn nicht gesehen. Aber Frau Wilhelm sah ihn die ganze Zeit und sie wusste Bescheid:
    Die Unsichtbaren bevölkerten die Station. Waren allgegenwärtig. Nachts kamen die Engel, am helllichten Tag besuchten die verstorbenen Angehörigen die Leute und unter der Dachkammer wohnte ein Gespenst. Manche Pfleger merkten es und manche merkten es nicht, die Alten sprachen davon und Gianna sah auch dort Gespenster, wo gar keine waren.
    Frau Wilhelm aber betrachtete ihren Albert und freute sich mit ihm und ihrem Glück, das immer noch nach Schafen, Heu und Sommerwiesen roch.

Frau Dr. Kolchewski!   Aufwachen! Frau Doktor! Ach bitte, lassen Sie mich!, sagte Frau Doktor und drehte sich vornehm noch einmal um. Sie lag immer noch in dem seidenen Pyjama mit den bunten großen Blumen im Bett und konnte unmöglich jetzt schon aufstehen. Sie hatte eine Tag-Nacht-Umkehr, wanderte die ganze Nacht und lief der Nachtschwester hinterher.
    Da musste auch mal was gemacht werden, mal den Dr. Heinz fragen, das konnte doch so nicht weitergehen. Ratlos hängte Rosalinde ein frisches Handtuch in das Bad. Sie würde Frau Doktor nicht dazu bewegen können, ins Bad zu gehen, es war einfach unmöglich. Sie betrachtete das unvergleichliche Sammelsurium an Fläschlein, Sprays und Düften. Frau Dr. Kolchewski legte sehr viel Wert auf ihre äußere Erscheinung. Was hatte sie denn da eigentlich? Oil of Olaz natürlich, Lippenstifte, Deo, Körperpuder, Gesichtspeeling … Rosalinde schaute verstohlen in den Spiegel. Sie war blass, beinahe grau, es war der ständige Lichtmangel, die schlechte Luft, die Schlaflosigkeit. Wenn sie so weitermachte, dann war sie in wenigen Jahren verwelkt. Verblüht. Vielleicht war sie es jetzt schon. Verblüht. Wie sah sie nur aus.
    Dann sah sie das Gesichtpeeling da stehen. Und da konnte sie nicht widerstehen, sie griff zu und nahm alles, was Frau Doktor da stehen hatte, sie peelte ihr Gesicht, nahm ein wenig teure Hautcreme, legte Rouge auf, bürstete das Haar. Es sah sie ja niemand. Aber der Effekt war erstaunlich. Das Peeling hatte ihre Haut rosig durchblutet, das Rouge auf Wangen und Nasenspitze ließ sie augenblicklich frischer aussehen, ein wenig Puder ließ die Haut goldbraun schimmern. Rosalinde lachte ihrem Spiegelbild zu. Wirklich erstaunlich. Das würde Abdul gefallen. Ja, wie konnte sie sich nur so gehen lassen? Und diese Frisur war nur noch ein flusiges, dünnes Etwas. Noch heute wollte sie zum Friseur. Ach was, sie ging sogar zu einem neuen Friseur. Neuer Friseur, neue Frisur. Wenn es auch einmal ein

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