Die letzten Dinge - Roman
nicht aufzuhalten, er grinste und strahlte – und hielt eine schwere, große Kiste in die Höhe.
Pampers!!, rief Rosalinde entgeistert.
Tja nun!!
Oh mein Gott, Ivy, das ist ja großartig, wo hast du die denn her?
Tja! Vitamin B! Ich habe einen schwulen Kumpel bei den Johannitern. Der hat die mitgehen lassen. Gewusst wie! Was krieg ich dafür?
Oh, Ivy! Glücklich fiel Rosalinde auf den Stuhl. – Na Gott sei Lob und Dank. Dann wäre wenigstens DAS mal geklärt. Ein Wunder ist geschehen. Mein Gott, ich kann ja nicht mehr, mir wackeln schon wieder die Knie.
Oooch Roseli, Rosenresli … Ivy ging auf Rosalinde zu, packte sie fest und drückte sie ordentlich. Als könnte er ihr dadurch eine Kraftspritze geben, so drückte er zu. Und Rosalinde tat es gut. Eine starke männliche Brust, die frisch trainiert und blütenweiß war und nach Axe roch und darüber nach Feuchtigkeitscreme.
Ach Ivy, sagte Rosalinde. Gut, dass du da bist, manchmal ärgerst du mich kaputt, aber manchmal bist du unbezahlbar. Geh um Gottes Willen schon mal zum Notarzt und assistiere ihm, ich muss mich erst mal fassen, ich komme sofort.
Elf leere Kännchen und neun bunte Schnabelbecher wackelten auf dem Tablett, besudelt mit braunen Rinnsalen und klebrigen, eingeweichten Brötchenkrümeln, standen sie in Pfützchen voll verschüttetem Kaffee und klirrten aneinander, als Lotta mit dem Wagen fuhr.
Lotta stellte den Wagen vor die Küche, ging zum Sterbezimmer und schielte durch die Tür. Sie wollte einfach noch mal gucken. Rosalinde war darin und knöpfte zart und vorsichtig das Nachthemd der wächsernen Frau Wissmar auf und streifte es hoch.
Hilf mir, das Hemd auszuziehen. Zieh Gummihandschuhe an.
Lotta ging ehrfurchtsvoll hinter das Bett, streifte die Handschuhe an, fasste vorsichtig unter den Kopf mit dem schütteren Haar und drehte den Leichnam leicht zur Seite. Der Körper war biegsam, weich und ohne Widerstand, Lotta empfand beinahe so etwas wie Fürsorge für diesen leblosen, verlassenen achtundneunzig Jahre alten treuen Gefährten von Frau Wissmar, der sie länger getragen und befördert hatte, als ihr lieb gewesen sein musste. Überall war der Körper nun kalt und gelb und wächsern, die Hände und die Füße waren blau, nur der Rücken wirkte noch seltsam lebendig und warm. Lotta dachte, Frau Wissmar müsste sich eigentlich wieder bewegen.
Kein Stuhlgang mehr, gottseidank.
Lotta hielt die Tote auf der Seite fest und Rosalinde seifte den Waschlappen ein und wusch ihr gründlich das Gesicht, wusch Hals und Ohren und Rücken, Lotta nahm das Handtuch und trocknete sie wieder ab. Bei einer Lebenden hätte die Haut sich gerötet, aber bei Frau Wissmar kehrte kein Blut zurück. Rosalinde wusch den Lappen aus und seifte ihn noch mal ein, wusch Brust und Bauch und Achselhöhlen, Arme und schließlich die Klavierhände, die sich nun nie mehr spreizen sollten. Lotta sah auf die Augen von Frau Wissmar, sie waren noch einen kleinen Spalt offen.
Muss man das nicht …
Ja, man muss sie noch schließen. Ich kann das immer nicht gut. Gleich, wenn sie liegt. Dann machen wir das.
Rosalinde wusch, Lotta trocknete ab. Kein Pflegespray mehr? Doch, noch einen Hauch, wegen dem Duft, es roch ganz zart nach Kamille und nicht nach Tod.
Such ihr mal ein schönes Hemd aus.
Das letzte Hemd.
Ja, so ist es.
Lotta öffnete den Schrank, suchte und suchte. Sollte sie das blau geblümte nehmen? Oder das mit den rosé Bisen? Frau Wissmar brauchte doch ein schönes Hemd, ein elegantes, ein kostbares, das sie wunderbar kleidete. Schließlich fand sie ganz unten ein herrlich besticktes Seidennachthemd, cremefarben mit glänzend umsäumtem Halsausschnitt, es war weit geschnitten und reichte bis zu den Füßen, es duftete nach einem Stück Lavendelseife, das jahrelang darauf gelegen hatte, das Hemd war über und über mit Rosen bestickt … Mit Rosen bedacht … mit Näglein besteckt, schlupf unter die Deck.
Das schöne alte Mädchen war für den Tode ausgestattet. Sie zogen sie an und Lotta kämmte Frau Wissmar die Haare, zog den Scheitel noch einmal ordentlich und glättete die Augenbrauen mit einem Tupfer Creme.
Und die Augen.
Ich weiß nicht, ich mache das nicht gerne. Willst du …?
Lotta erstarrte. Sie sollte einem Menschen die Augen schließen? Aber nun hatte sie Frau Wissmar die ganze Nacht begleitet und geholfen sie zu waschen und ihr das letzte Hemd ausgesucht, da konnte sie ihr auch die Augen schließen, es war eine Ehre, ein heiliger Akt. Lotta
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