Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
Vom Netzwerk:
auf eine Karte setzen, weil einem sonst nichts mehr bleibt, das man auf andere Karten setzen könne. Das wäre sogar noch schlimmer, wenn die anderen Karten, die man in der Hand hält, ebenso gut wären. Das war im Wesentlichen das Problem, vor dem die Lakonier standen. Ihre Fähigkeit, trotz des Chaos und Entsetzens auf dem Schlachtfeld wie Tänzer zusammenzuarbeiten, konnte nur entstehen, weil sie ihr Leben lang an brutalste Gewalt und Pflichterfüllung um jeden Preis gewöhnt waren. Jeder einzelne Söldner stellte deshalb eine gewaltige Investition an Geld und Zeit dar und kostete daher eine Menge. Obwohl sie in der Schlacht für jeden ihrer eigenen Gefallenen vierzehn Erlösermönche töteten, war der Verlust für sie ein traumatisches Erlebnis. Die Früchte all der Mühen und Entbehrungen, die mit diesen elfhundert Gefallenen vernichtet worden waren, ließen sich innerhalb einer Generation nicht mehr ersetzen, denn dazu gab es zu wenige Lakonier, und ihre Ausbildung dauerte auch zu lange.
    Im Lichte dieser erfolgreichen Katastrophe mussten natürlich auch die Ephoren von Lakonien erst befragt werden, was nun zu tun oder zu lassen sei, und das war der Grund dafür, dass das ganze Heer zum Stillstand kam. Dabei hätten sie diesen großen Krieg in wenigen Monaten oder gar Wochen zu Ende bringen können, wenn sie jetzt weiter voranmarschiert wären, die Golanhöhen umrundet und die Schützengräben der Erlöser von hinten angegriffen hätten.
    Die Ephoren jedoch befahlen ihrem Heer, sich vor den Golanhöhen einzugraben. Dann unterbreiteten sie ihren Helot-Sklaven ein Angebot: Sie sollten dreitausend ihrer stärksten, mutigsten und klügsten Männer auswählen, die bereit wären, gemeinsam mit den Lakoniern vor den Golanhöhen zu kämpfen. Dafür würde jeder von ihnen bei der Rückkehr die Freiheit sowie zweihundert Dollar Sold erhalten und ein Stück Land zugewiesen bekommen. Die Heloten ergriffen diese beispiellose, einmalige Gelegenheit, auf einen Schlag zu Freiheit und Wohlstand zu gelangen. Dreitausend ihrer besten Männer fanden sich unbewaffnet zum vereinbarten Zeitpunkt am Sammelplatz vor dem Golan ein– und wurden von den Lakoniern auf der Stelle massakriert. Auf diese Weise hatten es die Lakonier nicht nur geschafft, die übrigen Heloten, denn sie waren im Vergleich zu ihnen inzwischen weit, weit in der Überzahl, in Todesangst zu versetzen, sondern auch gleich die stärksten Helotenmänner beseitigt, die fähig gewesen wären, um ihre Freiheit zu kämpfen. Die Ephoren strichen das zusätzliche Geld ein, das ihnen die Antagonisten für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hatten, und beschlossen, jetzt wieder vorzurücken. Aber die Planung und Ausführung eines Massakers kostet eben viel Zeit, deshalb dauerte es insgesamt drei Wochen, bis sich die lakonische Armee erneut in Bewegung setzte. In der Zwischenzeit hatte sich Bosco selbst übertroffen.
    Bosco erfuhr die Nachricht von der Niederlage schon nach weniger als zwei Tagen. Und innerhalb von zwei weiteren Tagen schaffte er es, sich die allgemeine Lähmung, die sich über den Heiligen Stuhl gelegt hatte, zu Nutze zu machen. Er reiste nach Chartres und bestand auf einer Audienz beim Papst. Die ganze Zeit über hatte er Vermittler zu seiner geheimen Bruderschaft von Gläubigen entsandt und seine überzeugungsstärksten Botschafter zu den Sympathisanten seiner Sache geschickt, die sich zwar vor panischer Angst fast in die Hosen machten, aber trotzdem aufmerksam verfolgten, ob sie in dieser unglücklichen Situation nicht etwas Nützliches tun könnten.
    So verzweifelt auch die Rettung vor den Lakoniern herbeigesehnt wurde, bedeutete das aber noch lange nicht, dass alle gleichermaßen bereit waren, Cale zu vertrauen. Boscos Feinde steckten jedoch in einer Zwickmühle. Einerseits waren sie wie jeder andere Erlösermönch entsetzt über die Niederlage, die ihnen die Lakonier zugefügt hatten, und fürchteten sich vor ihren Konsequenzen. Aber nur weil sie verräterisch, hinterhältig und eigennützig waren, hieß das noch lange nicht, dass es ihnen an religiösem Eifer fehlte. Was war, wenn Cale tatsächlich der Todesbringer Gottes war, dessen Kommen schon seit Langem in umständlicher und ziemlich zweideutiger Weise angekündigt worden war? Manche bezweifelten sogar, dass die Sache mit dem Todesbringer überhaupt eine Prophezeiung sei, sondern dass es sich um eine fehlerhafte Übersetzung des ursprünglichen, stark beschädigten Originaltextes handle–

Weitere Kostenlose Bücher