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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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tiefgreifende Ignoranz in diesen Dingen verzeihen– kam ihm der Gedanke, dass er selbst der Vater des strampelnden kleinen Bastards im Bauch des Mädchens sein könnte. Und nie wäre ihm in den Sinn gekommen, dass kein objektiv denkender Mensch das Offensichtliche auch nur einen Augenblick infrage gestellt hätte– dass nämlich Arbell Materazzi einen schönen, jungen Mann ihrer eigenen Art und Abstammung, der die große Zukunftshoffnung aller Materazzi darstellte, einem dunkelhaarigen, eher kleinen Mörder vorziehen würde, der mit riesiger Wut auf die Welt und verhärteter Seele herumlief. Es war zwar richtig, dass sie ihm ihr Leben verdankte und auf höchst ungewöhnliche Weise auch das Leben ihres jüngeren Bruders, aber Dankbarkeit ist selbst zu besten Zeiten eine höchst befremdliche Gefühlslage, sogar und ganz besonders gegenüber jenen, die man einst anbetete. Und schönen Prinzessinnen fällt sie besonders schwer, weil sie, wenn man es so ausdrücken will, geboren wurden, um alles in den Schoß geworfen zu bekommen, und weil sie selbst ein Normalmaß an Dankbarkeit schwerer niederdrücken würde, als die menschliche Natur im Allgemeinen ertragen kann.
    »Geht es Euch gut?«, fragte Cale schließlich. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatte die harmlose Frage dermaßen wie eine nackte Drohung geklungen.
    Sie blickte kurz auf, denn ihre natürliche Kühnheit gewann die Oberhand über ihre Verwirrung.
    »Sehr gut.«
    »Das freut mich zu hören. Ich selbst erlebte harte Zeiten, seit wir uns zuletzt sahen.«
    »Wir alle mussten leiden.«
    »Ich persönlich verursachte mehr Leiden, als ich selbst ertragen musste.«
    »Ist es denn nicht immer so bei Euch?«
    »Ihr habt ein kurzes Gedächtnis– was noch schlimmer erscheint, weil Ihr doch so tief in meiner Schuld steht.«
    »Benimm dich«, sagte Conn wütend, der aufgesprungen wäre und seinen Stuhl mit dramatischer Geste von sich geschleudert hätte, wenn nicht Vipond seinen Oberschenkel gepackt hätte, mit überraschend großer Kraft für einen Mann seines Alters und Berufs.
    »Wie geht’s deinem Bein?«, erkundigte sich Cale. In vielerlei Hinsicht war er eben doch noch sehr jung.
    »Verdammt noch mal«, fauchte IdrisPukke flüsternd. Inzwischen hatte die Woge des Schweigens den halben Saal erfasst. Doch Cale war mit der festen Absicht gekommen, Arbell zu quälen, und musste nun feststellen, dass er genau die Selbstkontrolle verloren hatte, die nötig gewesen wäre, um diese Absicht zu verwirklichen. In ihm hatte sich ein Reservoir von Verlorensein und Zorn eröffnet, das intensiver und größer war, als er es je für möglich gehalten hätte– jedenfalls hatte er nicht geahnt, dass es so tief sein würde.
    »Du bist hier nicht erwünscht«, sagte Conn schließlich. »Warum hörst du nicht auf, dich zum Narren zu machen und alle zu verärgern, und verschwindest einfach?« Eins von beidem hätte vollkommen gereicht. Doch die Wirkung war verheerend: Wie von einem riesigen Blasebalg angefacht, der von einem Wahnsinnigen betätigt wurde, loderte Cales Wut auf und geriet außer Kontrolle. Er stand auf und griff an den Gürtel nach seinem Messer, als sich eine schwache Hand um sein Handgelenk schloss.
    »Hallo Tom«, sagte Vague Henri sanft. »Ich hab dir jemand mitgebracht.« Wie kühlendes Wasser floss seine Stimme über das gespannte Schweigen der Zuschauer. Cale starrte einen Moment lang in sein blasses Gesicht und die immer noch auffällige Narbe, dann glitt sein Blick weiter zu den beiden Männern, die neben Henri standen: Simon Materazzi und der stets zögerliche Koolhaus.
    »Simon Materazzi sagt Hallo, Cale«, sagte Koolhaus. Dann umarmte ihn der taubstumme Simon und ließ ihn nicht mehr los, bis sie aus dem Saal ins Freie traten und in der feuchtkalten Luft von Spanish Leeds gierig den Tabakrauch einsogen.
    IdrisPukke fand Cale erst zwei Stunden später– er hatte sich einfach in Cales Zimmer gesetzt und auf seine Rückkehr gewartet.
    »Bring Henri und Simon ins Bett, bevor sie umfallen«, sagte er zu Koolhaus, der diesem Befehl nur zu gern nachkam. Cale setzte sich auf sein Bett, wich aber IdrisPukkes Blick aus.
    »Ich hoffe doch sehr, dass du mit dir zufrieden bist. Deinem Ruf zufolge bist du jetzt nicht mehr Gottes Zorn, sondern sein Dorftrottel.«
    Dieser Stachel drang tief genug ein, sodass Cale endlich aufblickte, obwohl er weiterhin schwieg und sich so elend fühlte wie eine hinkende Eidechse.
    »Glaubst du wirklich, du könntest die ganze

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