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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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sich immer weiter zu beiden Seiten der Materazzi aus, und nicht zufällig erfasste es auch Bose Ikard und seine Tischnachbarn. Ikard hatte Grays verächtlicher Tonfall und die seltsame Erscheinung zunächst alarmiert, die der junge Mann in Schwarz bot, doch nun fingen er und seine Tischnachbarn Cales vernichtende Antwort auf und brachen in schallendes Gelächter aus.
    Cale verspürte unterdessen eine einzigartige Mischung von Hass, Anbetung, Liebe, nicht zuletzt aber auch einen unbändigen Stolz auf seine Schlagfertigkeit, ließ sich von einem Diener den Stuhl unterschieben und setzte sich. Dann wandte er den sowohl leicht lächerlichen als auch Furcht einflößenden Blick wieder dem unglückseligen Schwanenhals zu. Kein von Mäusen aufgeschreckter Elefant im Porzellanladen hätte ein solches Chaos anrichten können, wie es nun in den Gefühlen der beiden jungen Menschen herrschte– eine wilde Mischung von Verlangen, Zurückweisung, Verrat und enttäuschten Gelüsten, die sich mit den Stimmungen in dem ungeheuer großen Saal so vermengten, dass man förmlich einen Dunst aufsteigen sehen konnte. Kein Wunder, dass das Baby im Mutterleib heftig zu strampeln begann wie ein Spanferkel im Sack. Und es war eine gewaltige Manifestation der guten Erziehung, die Arbell zuteilgeworden war, dass sie ihr Kind nicht auf der Stelle auswarf.
    Allerdings gab es auch Anzeichen schlechter Erziehung, und diese stammten ganz bewusst von Cale: Als die Diener geübt mit dem Servierbesteck Braten und Bohnen und Erbsen auf seinen Teller häuften, bedankte sich Cale bei jedem Einzelnen, obwohl er genau wusste, weil ihm IdrisPukke dies wiederholt eingebläut hatte, dass man das Auflegen der Speisen auf keinen Fall beachten durfte, sondern dass die Gespräche nach rechts oder links weitergeführt werden müssten, als seien die Zungen der Lerchen und die Filets der Pfauen durch den eigenen magischen Selbstmordwillen dieser Tiere auf die Teller gelangt. »Danke. Danke. Danke«, sagte Cale also, jedes Mal mit dem betont falschen Ausdruck gespielter Dankbarkeit, und jedes Danke war als Schlag auf das Herz der jungen Schönheit und als Tritt gegen das Schienbein ihres wütend starrenden Gatten gedacht.
    Nun sind wir wohl alle Zyniker, wie ich vermute, und selbst ein quengelndes Kleinkind weiß, dass man sich, rettet man ein Menschenleben, damit zugleich auch einen Feind fürs Leben schafft. Doch obwohl Conn einen gewissen Verdacht ganz nach hinten in seinem Gedächtnis verbannt hatte, und obwohl er den Mann verabscheuen musste, der ihn am Silbury Hill vor einem grausigen Tod bewahrt hatte, konnte er dennoch nicht völlig einen letzten Rest von Dankbarkeit abschütteln oder ihn aus den tiefsten Kerkern seiner unsympathischen Seele verjagen, die sich noch immer an die Gräulichkeiten des violetten Todes erinnerte, der ihn damals schier erdrückt hatte.
    Das Problem mit Cale war, dass er bei diesem Auftritt zwar die Ouvertüre seiner Oper der Rache wunderbar virtuos vorgetragen hatte, dass ihm aber nun die Arien ausgegangen waren. Señor Grays Spott hatte ungefähr so gewirkt, als würde man einem Bären Honigkuchen hinwerfen. Mit Aggression konnte Cale gut umgehen, ob verbal oder physisch. Arbell starrte auf ihren Suppenteller, als hoffte sie, die Suppe würde sich teilen wie das Rote Meer und sie ganz und gar verschlucken. Conn starrte ihn nur wütend an. Doch trotz ihres Elends sah Arbell herzzerreißend schön aus. Ihre sonst hellbraunen Lippen waren tiefrot, und die weißen Zähne, die dazwischen durchfunkelten, ließen ihn trotz all seines Hasses fast lyrisch-romantisch werden, sodass er sie mit Rosen verglich, zwischen deren roten Blütenblättern sich Schnee angesammelt hatte. Er hatte in den letzten Monaten so oft und so intensiv an sie gedacht, dass er gar nicht begreifen konnte, was nun nicht geschah: dass sie nur ein paar Schritte entfernt saß und trotz allem Hass nicht hell vor Freude auflachte, wie sie es früher getan hatte, wenn er die Tür zu ihrem Gemach schloss und sie ihn eng in die Arme nahm und sein Gesicht mit Küssen bedeckte, als könne sie nie und nimmer genug von seinen Berührungen und dem Geschmack seiner Lippen bekommen. Wie konnte es sein, dass sie seiner müde geworden war? Wie war es möglich, dass sie dieser… Kreatur, die nun neben ihr saß, erlaubt hatte, sie zu…? Aber genau dieser Gedanke führte zu nah an den Wahnsinn, und er saß ihm viel zu nahe. Nicht für einen einzigen Augenblick– man mag seine

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