Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
was er jetzt tun solle. Er hatte nicht vor, sich zu rächen, denn er war eher ein gutmütiger Typ. Rache war immer gefährlich, und Kleist ging nicht gern unnötige Risiken ein. Andererseits saß er hier mitten in einer gottverlassenen Wildnis, hatte kein Pferd, nichts zu essen, kein Geld und nur die Kleider, die er am Leib trug. Insgesamt kam er zu dem Schluss, dass er keine andere Wahl hatte, als Dunbar und seinen Leuten zu folgen, aber im Verlauf der nächsten drei Tage fragte er sich stets, ob er damit nicht einen Fehler beging. Er fror und war hungrig. Daran war er zwar gewöhnt, aber obwohl die Umgebung recht grün war, fand er nirgendwo stehendes Wasser. Wassermangel schwächt den Körper und kann einen Menschen schnell erledigen; aber es wäre wohl endgültig sein Ende, wenn er Lord Dunbar aus den Augen verlor.
Er fand ein wenig Bambus– zwar spärlich gewachsen, aber doch gut genug. Hoffentlich. Er schnitt ein ungefähr fünf Fuß langes Stück ab sowie ein Dutzend dünne Stangen, dann eilte er wieder hinter Dunbar her. Er folgte ihm den ganzen Rest des Tages, bis er eine kleine Wasserlache fand. Die Brühe war grünbraun, aber er riskierte es trotzdem, davon zu trinken. Er hatte schon Schlimmeres getrunken, wenn auch nicht sehr oft. Dunbar und seine Leute schlugen eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit ihr Nachtlager auf. Die Dämmerung setzte ein; Kleist blieb nicht mehr viel Licht, daher musste er schnell arbeiten. Der Bambus war noch grün, sodass es leicht war, ihn in dünne Sehnen zu schneiden, die er flechten und als Bogensehne benutzen konnte. Dann schnitt er den Bambusstock der Länge nach in drei Stücke, jedes Stück etwas kürzer als das andere. Als es dunkel wurde, hatte er die Einzelstücke mit den Sehnen übereinandergebunden, sodass sie wie eine Kutschenfeder aussahen. Er schlief nur wenig, und am nächsten Tag arbeitete er schon bei Tagesanbruch weiter und nahm die Verfolgung wieder auf, als die Bande weiterzog. Den Bogen stellte er fertig, als sie um die Mittagszeit für ein paar Stunden Rast einlegten. Gerne hätte er die Enden des Bogens noch gegenläufig verbogen, um noch mehr Spannkraft herauszuholen, aber dafür blieb ihm keine Zeit, und außerdem war es ein sehr kompliziertes Verfahren. Er wurde von heftigem Durst gequält, aber die heißen Sonnenstrahlen trockneten nicht nur seine Kehle aus, sondern auch den Bogen, so vollständig, dass er sich gut verfestigte. Er fand genug Feuerstein und brauchte nur zehn Minuten, um eine Pfeilspitze herzustellen.
Eine von Maden zerfressene Krähe lieferte ihm die Federn für den Pfeil, aber Krähenfedern waren schwer zu bearbeiten, und er verschwendete einen großen Teil der besten Federn, bis er die Technik beherrschte. Sie mit Bambus und dem Rest der Sehne zusammenzubinden war eine grauenhaft schwierige Aufgabe. Für diesen Bogen und diese Pfeile hätte er von Bogenmeister Bruder Hart wahrscheinlich eine ordentliche Tracht Prügel bezogen, doch unter den gegebenen Umständen war das Ergebnis nicht einmal schlecht. Gut genug, wenn es ihm gelang, so nahe heranzukommen, dass er damit wirklich eine Wirkung erzielen konnte. Aber er war erschöpft, durstig und hungrig und hatte ausgesprochen schlechte Laune. Sie besserte sich erst, als er außer Sichtweite der Gruppe ein paar Probeschüsse abgab. Seine Anspannung lockerte sich, und er empfand Stolz auf sein Geschick, gemischt mit einem kräftigen Schuss bösester Rachegelüste. Inzwischen hatte sich die Bande bereits zu weit entfernt, und er dachte schon, dass er sie verloren habe, als er beinahe in ihr Lager gestolpert wäre, das sie hinter einem dichten Wäldchen aufgeschlagen hatten. Da es noch nicht vollständig dunkel war, blieb ihm gerade noch genug Zeit, um die Baumgruppe herumzuschleichen und ihr Lager zu erkunden. Er konnte vier Männer ausmachen; den fünften sah er nirgends. Die Dunkelheit zwang ihn dazu, den geplanten Angriff auf den nächsten Tag zu verschieben. Er hätte die Nacht lieber an dieser Stelle verbracht, an der er lag, aber da der fünfte Mann fehlte, sah er sich gezwungen, sich ein paar hundert Schritte zurückzuziehen. Das war ärgerlich.
Neun Stunden später kehrte er zurück und legte sich auf die Lauer. Er hatte rasende Kopfschmerzen. Immer noch befanden sich nur vier Männer im Lager, aber der fünfte Mann, der gestern gefehlt hatte, war jetzt zurück, und dafür war Lord Dunbar verschwunden. Frustration und Erregung und Furcht wallten in Kleist hoch und ließen das
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