Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
praktisch zu erproben, und wählte dann die Männer nicht durch ein gotteslästerliches Spiel mit ihrem Glauben, sondern durch das Los aus. Einen Namen fügte er selbst hinzu, den eines Zentenars, in dem er schon bei der ersten Besprechung einen Erlösermönch erkannt hatte, der ihm einmal mit einem Seil von der Stärke eines Männerarms den Hintern grün und blau geprügelt hatte, weil Cale während einer Ausbildungsstunde geschwatzt hatte. Möglicherweise wäre der Mönch am Leben geblieben, wenn Cale damals tatsächlich geplaudert hätte. Tatsächlich war er zu Unrecht bestraft worden, denn es war Dominic Savio gewesen, der Henri zugeflüstert hatte, er würde noch in derselben Nacht möglicherweise, oder sogar höchstwahrscheinlich, sterben und von einem Teufel für alle Ewigkeit ausgeschissen werden.
Zum zweiten Mal zog sich Cale zusammen mit Gil auf den Hügel zurück, ungefähr eine halbe Meile von Duffer’s Drift entfernt. Abermals mussten sie warten, dieses Mal zwei Tage lang. Cale verkürzte sich die Zeit gelegentlich damit, Gil auf jede denkbare niederträchtige Weise zu quälen– er machte Andeutungen auf seine lüsternen Erlebnisse in Kitty-Town, das er allerdings, weil er gerade frisch verliebt gewesen war, im Gegensatz zu Kleist und dem schuldbewussten, aber faszinierten Henri gar nicht aufgesucht hatte. »Für einen Dollar kriegst du einen geblasen«, erklärte er dem Erlöser Gil, »und einen Arschfick für zwei.«
Für manche Perversionen erfand er neue Bezeichnungen, von denen er glaubte, dass es sie gar nicht gab. Aber da irrte er sich. In Kitty-Town gab es keine Verderbtheit, die nicht schon längst praktiziert wurde, wenn man dafür bezahlen konnte.
Doch die meiste Zeit schlief er, aß den größten Teil der Rationen, die für Gil und die beiden Wärter bestimmt waren, machte sich Notizen und stellte sich immer und immer wieder die Angriffe auf Duffer’s Drift vor, die früheren wie auch die zukünftigen. Davon abgesehen dachte er auch an Schwanenhals und die nächste Begegnung mit ihr, bei der sie sich in seine Arme werfen und den Verlust beweinen würde, während ein sterbender Bosco mit dem letzten Atemzug gestehen würde, dass ihr Verrat eine schmähliche Lüge gewesen sei. Doch dann schämte er sich für seine absurde Selbsttäuschung und stellte sich vor, wie er ihren schönen Schwanenhals ohne jegliches Mitleid oder Bedauern packen und so lange erdrosseln würde, bis sie unter seinem erbarmungslosen Griff würgend erstickte. Aber wegen dieser oft recht lange andauernden Tagträume schämte er sich wiederum, was ihn jedoch nicht daran hinderte, diese Traumwelten immer und immer wieder aufs Neue aufzusuchen, um, wie es der Heilige Erlöser Clementinus einmal ausgedrückt hatte, dem sündigen Laster böser Gedanken nachzuhängen. Doch Cale hing bösen Gedanken in einem Maße nach, das noch weit verrückter und lästerlicher war, als Clementinus es sich jemals hätte vorstellen können. »Zum Glück für die Welt«, hatte IdrisPukke einmal zu Cale gesagt, »sind die Bösen im Allgemeinen genauso feige wie alle anderen, ihre bösen Gedanken in Taten umzusetzen.«
Als Cale vom Großen Sporn am Tigerberg auf die Welt hinabgeblickt hatte, hatte er eine beunruhigende Freude und freudige Unruhe empfunden, die er nun auch hier, auf dem Hügel hinter dem Duffer’s Drift, wieder verspürte– Unruhe, gepaart mit freudiger Erwartung. Es gab schließlich nichts Schöneres, als endlich an einer Stelle kratzen zu können, die schon lange juckte.
Der von den Zentenaren unter der Führung eines Millenars entwickelte Plan sah vor, dass sich die Truppen weiterhin in den Schützengräben verschanzen sollten. Sie noch tiefer auszuheben hatte keinen Sinn; aber die Erde erschien ihnen fest genug, um auf dem Boden der Gräben Vorsprünge zu bauen, unter die sich die Soldaten vor dem Pfeilhagel der Ballisten retten konnten. Um dem Hauptgraben in der Mitte des U Deckung zu geben, wurden weitere Gräben außerhalb des U auf der rechten und linken Seite ausgehoben. Cale verhinderte jedoch, dass die Männer sämtliches Gestrüpp im Umkreis von vierhundert Schritten außerhalb fällten oder abbrannten, denn er wollte nicht, dass zu irgendeinem Zeitpunkt mehr als zweihundert Mann bei der Arbeit zu sehen waren; die tatsächlich vorhandenen Truppen von achtzehnhundert Mann sollten im Verborgenen bleiben. »Ihr werdet auch später nur zweihundert Mann zur Verfügung haben, warum wollt ihr jetzt mehr Männer
Weitere Kostenlose Bücher