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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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seine Kameraden zu provozieren, ihn heldenhaft zu retten.«
    »Abschaum.« Hooke blickte Cale an und versuchte, die Gedanken dieses seltsamen Jungen zu erraten. »Ihr haltet mich wohl für einen Schwächling?«
    Cale dachte sorgfältig darüber nach, bevor er antwortete: »Nein. Es überrascht mich nur.«
    »Dass jemand Mitleid mit einem leidenden Mitmenschen haben würde?«
    »Dass ausgerechnet Ihr solche Gefühle von den Erlösermönchen erwarten würdet.«
    »Man kann ein Verhalten auch missbilligen, obwohl man es erwartete.«
    »Wozu denn? Würde es etwas ändern?«
    »Offenbar seid Ihr ohne jede Fürsorge aufgezogen worden.«
    »Das stimmt.«
    »Warum so zynisch?«
    »Ich weiß nicht, was das ist.«
    »Zynismus ist…«
    »Und es ist mir auch egal.«
    Beleidigt über diese Abfuhr gab Hooke keine Antwort mehr.
    Nach ein paar Minuten sagte Cale: »Ein Freund von mir sagte immer, es sei Zeitverschwendung, den Menschen die Schuld für ihre Natur zuzuweisen.«
    »Dann hatte ich also Recht.«
    »Womit?«
    »Dass Ihr ohne Fürsorge aufgezogen wurdet.«
    Cale wollte sich nicht beleidigen lassen; er lächelte nur. »Ich wünschte, IdrisPukke hätte mich großgezogen. Dann wäre ich wohl eher nach Eurem Geschmack, Meister Hooke, als ich es jetzt bin.«
    Wie zur Bestätigung schoss ein weiterer Pfeil über den Fluss und traf einen der Verwundeten.
    »Es ist nicht töricht, sich ein besseres Leben zu wünschen als dieses.«
    Cale hatte genug von dieser Unterhaltung und gab keine Antwort. Er bemerkte ein Dutzend Folksoldaten, die zum Hügel an der Rückseite des U und dann den Hang hinaufkrochen; kurz darauf folgten zehn weitere, dann noch einmal zehn. Der Zentenar im Schützengraben auf dem Hügel ließ sie herankommen, aber er zögerte länger, als Cale es für sinnvoll hielt.
    »Komm schon«, flüsterte Cale vor sich hin. Doch dann wurde eine Breitseite von Pfeilen abgeschossen, und Cale zählte etwa ein Dutzend Treffer. Aber schon schlossen weitere Folksoldaten auf, und manche rannten sogar gebückt über einen natürlichen Erdwall auf dem Hügel. Cale wurde klar, dass die Angreifer erst von den Gräben aus beschossen werden konnten, wenn sie den Erdwall überwunden hatten. Bei der Planung der Verteidigung des Hügels hatte er angenommen, dass der Abhang keinerlei Deckung bot, sodass es fast unmöglich erschien, einen Sturm auf den Hügel erfolgreich durchzuführen. Nun musste er einsehen, dass er offenbar diesen kleinen Erdwall übersehen hatte. Wenn die Angreifer erst einmal zwei Drittel des Aufstiegs hinter sich hatten, konnten sie in der niedrigen Kuhle hinter dem Erdwall in Deckung gehen, wo sie vom Pfeilhagel verschont blieben und nahe genug am Ziel waren, um von dort aus einen letzten Ansturm zu wagen. Es war einfach undenkbar, dass er etwas so Offenkundiges übersehen hatte!
    Während einer scheinbar endlosen Zeit hatte man ihm eingebläut, was im Augenblick der göttlichen Erleuchtung vor sich gehe, einer Erscheinung auf irgendeiner Straße oder einer Verheißung auf dem Gipfel eines Berges, bei der es ihm wie Schuppen von den Augen fallen würde. Die Erleuchtung, die Cale auf dem Gipfel der Anhöhe bei Duffer’s Drift zuteilwurde, hatte nichts Göttliches an sich, dennoch war es eine Vision der Wahrheit: Er konnte sich einen Fehlschlag nicht leisten.
    Seit er denken konnte, hatte er nur einen verzweifelten Wunsch verspürt: in Ruhe gelassen zu werden. Doch als er nun beobachten musste, wie die Folk auf den Scheitel des Hügels zukrochen, erkannte er, dass seine größte Hoffnung zu scheitern drohte. Eroberten sie den Hügel, würden sie auch den ganzen Drift einnehmen können. Sie würden sämtliche Purgatoren töten und mit ihnen Cales einziges Mittel, Bosco so viel Macht zu verschaffen, dass dieser ihm, Cale, Sicherheit bieten konnte. Doch das war nur um den Preis möglich, niemals mehr in Ruhe gelassen zu werden. Er könnte jetzt zwar fliehen, aber dann würde er den gesamten Erlöserorden hinter sich und die Antagonisten vor sich haben. Und wäre er auch fünfhundert Meilen entfernt– wovon? Von nichts, das auch nur nach Sicherheit aussah. Wer in dieser Welt in Ruhe gelassen werden wollte, musste ein einsames, abgeschottetes und daher verwundbares Leben führen. Sein Frieden und seine Ruhe hingen immer vom Wohlwollen eines anderen ab. Es gab keinen Winkel, keine Nische, keine Ritze, in die er sich vor der Welt verkriechen und in der er selbstzufrieden vor sich hin leben konnte. Ein Dach musste erarbeitet,

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