Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
wahrscheinlich auch in gekochtes Fleisch oder Gulasch. Die Reiher waren sehr zahlreich, wenn sie flogen, warfen sie Schatten auf die Reisfelder. Einer mehr oder weniger, das würde für niemanden einen Unterschied machen, mit Ausnahme des Reihers selbst und vielleicht seiner nächsten Angehörigen.
Im Unterschied zu Hühnern und Honigwaben konnten Reiher fliegen. Ihre Jagd setzte also den Besitz einer Schusswaffe mit kurzer Reichweite voraus, das heißt einer Schleuder, wie er sie in den Händen der Wilddiebe oder unter ihren Mänteln verborgen gesehen und deren Gebrauch er sofort erfasst hatte. Rankstrail hatte ein paar Versuche gemacht, Reiher mit Steinwürfen zu erlegen, aber so kräftig seine Arme auch waren, das war unmöglich.
Nie hatte er einen Schritt ohne seine Flöte getan. Er hatte nie darauf gespielt, auch nie den Wunsch verspürt, das zu tun, aber ihre Präsenz im Quersack war ein massives, mit zwanzig Zoll Länge messbares Unterpfand der Liebe seines Vaters zu ihm.
Rankstrail zog das geflochtene Lederband, das den Quersack verschloss, aus diesem heraus, und bastelte sich damit aus seiner Flöte und einem kleineren Ast eine Schleuder. Rankstrail machte ein paar Versuche: Sie war perfekt. Er verbrachte den Winternachmittag im Wasser und in der Kälte, trunken vom Gefühl seiner neuen Macht. Er besaß eine Waffe. Er musste lang üben, bis er Richtung und Kraft des Schusses zu regulieren wusste, aber bevor der Sonnenuntergang Luft und Wasser mit Gold überzog, erlegte er seinen ersten Reiher. Mächtige Freude erfasste ihn angesichts des blutbefleckten Gefieders, was Bratenduft in ihrem Herd und Kamin bedeutete.
Im Geist sah er sich als Krieger, bewaffnet mit einer Schleuder, Verfolger sämtlicher Orks der Erde, die Nerella zu töten versuchten, seine Mutter erschreckten und seinen Vater von einem Mann, der seine Familie in seinem Dorf mit Würde und Anstand ernähren konnte, zu jemandem gemacht hatten, der fürs bloße Überleben auf die Wilderei des Sohnes angewiesen war.
Jeden Augenblick, den er in den Reisfeldern zubrachte, träumte Rankstrail davon, derjenige zu sein, der das Land, das die Orks durch ihre Überfälle an sich gerissen hatten, für das Volk der Menschen zurückerobert, denn Orks, das sind welche, die Blutbäder unter Kindern anrichten, sich über ihre Schreie lustig machen und sich freuen über ihren Tod und das Leid derer, die sie beweinen. Er dachte, er würde sie suchen, schlagen, jagen, sie verfolgen bis ans Ende der Welt und sie ausrotten bis auf den letzten Ork. Er stellte sich auch sich selbst vor, groß und herrlich, wie er im Harnisch, eine Schleuder in der Hand, womöglich auch ein Schwert, voller Verachtung auf seinen Gegner herabblickte, auf das Vieh, den letzten Ork, der ihn auf Knien um Gnade anflehte und dem er sie großzügig vielleicht gewähren würde.
Rankstrail eilte nach Hause in den Äußeren Bezirk, außer der üblichen Wabe im Quersack unter der Jacke den Reiher. Unterwegs strömte ihm eine Menschenmenge entgegen, Flüchtlinge aus den Ebenen des Südens, wo eine große Hitzewelle die Erde ausdörrte und Brände Wälder und Dörfer verwüsteten. Zum zweiten Mal in seinem Leben hörte Rankstrail Verwünschungen der Elfen, die alle Macht und alles Wissen besaßen und auf unergründliche Weise die unbezwinglichen Herren der Welt waren, weshalb sie die Verursacher all dieses Leidens sein mussten.
Im Äußeren Bezirk sah Rankstrail sich einem Neuankömmling gegenüber: ein verwirrtes, zahnloses Männlein unbestimmbaren Alters, das mit merkwürdig hüpfenden Schritten dahintrippelte.
»Edle Herrschaften, die ihr auf diesen steinigen Wegen wandelt, die ihr diese betörenden Düfte einatmet, diese Speisen genießt, die mich mit ihrem Anblick quälen und mit ihren Aromen verzücken …«
Rankstrail blieb nicht stehen. Er wollte so schnell wie möglich heim, kaum etwas konnte ihm gleichgültiger sein als das Gejammer eines neuen Bettlers. Aus den Augenwinkeln sah er jedoch, wie das Männlein auf sein Gewand deutete, dessen Farbe durch Schmutz, Schlamm und Blut unkenntlich geworden war, an dessen Ärmeln aber noch Reste von Samt zu sehen waren, Hinweis auf seine ursprünglich feinere Machart.
»Seht, wie mein Gewand mich kleidet. Hängt es nicht schlapp herab wie ein Segel ohne Wind? Einst umschloss es straff die Beleibtheit meines Wohlstands, jetzt schlottert es um meinen zum Gerippe abgemagerten Leib …«
Obwohl er es eilig hatte, seine Beute nach Hause zu
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