Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
Vom Netzwerk:
der Piken der Orks landete, machte der Hauptmann es sich zur Gewohnheit, zu der Stelle zu gehen, wo der Tote seinen Namen eingeritzt hatte, und mit der Hand darüberzustreichen, um an ihn zu erinnern. Die anderen machten es bald ebenso. Der eine oder andere fügte Verzierungen oder ein paar Worte der Erinnerung hinzu. Das waren Worte wie »braver Kerl« oder »schade, dass er tot ist«, die auf dem Stein oder in der Rinde hinterlassen wurden.
    Zum Glück war es den Orks nicht möglich, auf ihren Nussschalen Pferde über den Fluss zu transportieren, und das gab den Menschen dann doch eine beträchtliche Überlegenheit.
    Auch im Inneren der Stadt gab es Verluste. Die Orks hatten sich ein halbes Dutzend große Armbrüste gebaut. Sie mussten sie zu zweit bedienen, und es war nicht möglich, genau zu zielen, aber man konnte Pfeile auf die Wehrgänge hinaufschießen, wo die Wachposten standen und vor allem Befehl hatten, möglichst oft über den Rand hinunterzuschauen, um die Stadt vor einem neuerlichen Angriff der Akrobatenkrieger zu bewahren. Jetzt war der Wachdienst auf den Wehrgängen keine gefahrlose und schmerzfreie Angelegenheit mehr wie früher. Die Pfeile drangen bis ins Innere der Stadt. Sie landeten plötzlich irgendwo, und auch wenn sich mittlerweile jeder in Acht nahm, alle so wenig wie möglich ausgingen und immer nur im Schutz von Bogengängen oder improvisierten Schilden, der eine oder andere wurde doch getroffen.
    In den Höfen des Palasts unterrichtete Aurora jeden, der imstande war, einen Bogen zu halten, im Bogenschießen. War der Schuss gut, trafen die Pfeile große Zielscheiben aus Stroh und zerfetzten sie. Wenn sie nicht mit Unterricht im Bogenschießen beschäftigt war, hatte Aurora gemeinsam mit den Frauen der Stadt im Palast ein öffentliches Lazarett eingerichtet, wo die Verwundeten, die keine Familie hatten, also auch Rankstrails Söldner, behandelt werden konnten. Die Vorstellung, dass Frauen den Söldnern nicht nur nahe kommen, sondern sie auch berühren könnten, wurde anfangs für unschicklich gehalten, doch dann gewöhnte man sich daran. Am wenigsten begeistert davon waren die Herren vom Volk der Zwerge, sie wollten in Ruhe gelassen werden. Ihnen waren Trakrails schmutzige Verbände und seine gekauten Kräuter lieber, weil der sich wenigstens nicht anmaßte, sie zu waschen oder von ihren Pferden zu trennen. Arkry, Herr der Zwerge und der Älteste unter den Söldnern, hatte einen Streifschuss am Bauch abbekommen. Er wurde der Prinzessin von Daligar übergeben, die versuchte, ihn ruhigzuhalten und ihm wenigstens für einen Tag sein Brot mit Knoblauch zu entziehen, doch er entwich in die Ställe, wo er ein paar Tage allein blieb, bis Morgentau ihn zwischen den Futtertrögen entdeckte und beschloss, sich seiner Wunde anzunehmen.
     
    Nach den ersten zwei Monden im Belagerungszustand war die Begeisterung völlig verflogen und die Freude erloschen.
    Nach und nach, einen Tag um den anderen, verstummten in der Stadt die Geräusche. Stille breitete sich aus, als das Gurren der Täuben und Turteltauben aufhörte, die bis dahin in den zahlreichen Taubenhäusern gelebt hatten. Sie verschwanden zusammen mit den letzten, noch in den Kellern verbliebenen Kartoffeln. Das Pfeifen der Amseln und das Zwitschern der Spatzen verstummte noch vor dem Gackern der Hühner, die wegen der Eier bis zuletzt verschont wurden. Als das Miauen der Katzen ausblieb, wurde der Blick der Menschen trübe, weil die Fröhlichkeit verloren war; als das Hundegebell verstummte, wurde er düster, weil die Unschuld verloren war. Die Stille wurde durchbrochen nur noch vom Wiehern der Pferde und vom Schrei der Möwen, die hoch droben knapp unter den Wolken dahinsegelten, außerhalb der Reichweite jeden Pfeils und jeder Schleuder.
    Der schiere Hunger und dumpfe Verzweiflung machten sich breit in Daligar, hüllten es ein von den Fundamenten, wo es keine Ratten mehr gab, bis hinauf zu den Dachziegeln, wo die Schwalbennester verschwunden waren.
    Der Sommer brach an, gnadenlos brannte die Sonne vom Himmel herab und verscheuchte auch noch die letzte Wolke. Das Wasser wurde knapp.
    Das Lachen der Kinder verstummte. Als die Stadt wirklich am Ende war, verstummte zuallerletzt ihr Weinen. Die Zikaden verschwanden, über dem Feuer geröstet, und in der Nacht waren nur die Trommeln der Orks zu hören, ununterbrochen bis zum Morgengrauen, wie zur Erinnerung daran, dass nirgendwo geschrieben stand, auf jede Nacht müsse ein Morgen folgen.
    Bitterer

Weitere Kostenlose Bücher