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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Schulterzucken. Mutter und Sohn verstummten und huschten davon.
    Bei den Ställen hielt Morgentau ihn auf. Im letzten Sonnenlicht schienen ihre weißen Haare, die unter der Haube hervorlugten, zu strahlen. Die Alte hielt das Wolfsjunge im Arm, das sie um Haaresbreite vor dem Kochtopf hatte bewahren können, sie war aber nicht sicher, ob ihr das beim nächsten Mal wieder gelingen würde. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, nahm Rankstrail das Tier mit. Beim Palast des Verwaltungsrichters, der jetzt wieder »Königspalast« genannt wurde, passierte er die Wachposten und trat durch die seitliche Pforte von der Straße her in den Garten. Es war derselbe Garten, in dem er zehn Jahre zuvor Aurora getroffen hatte. Die Glyzinien waren verblüht, und die Hitze hatte den kleinen Teich ausgetrocknet, wo im letzten Schlamm noch ein paar Frösche japsten und darauf warteten, dass jemand aus der Küche käme, um ihrer Qual ein Ende zu bereiten. Die prächtige silberne Schaukel schwang träge über dem ungepflegten Rasen hin und her. Rankstrail band das Wolfsjunge an den Stamm einer Glyzinie, wo es, überwältigt von Müdigkeit, auf der Stelle einschlief.
    Der Hauptmann trat aus dem Schatten und durchquerte den Garten, der im letzten Licht des Sonnenuntergangs dalag. Erst da bemerkte er, dass er nicht allein war. Unweit vom Teich saß am Boden das Töchterchen der Königin-Hexe in einem schlammverschmierten karmesinroten Kleidchen, trug dazu eine Haube aus kompliziert ineinander verflochtenen Spitzen, die ihr offenbar lästig war, denn ständig versuchte sie, sie vom Hals zu entfernen. Das muss wohl eine Gesetzmäßigkeit sein, dachte sich Rankstrail. Jedes Mal traf er in diesem Garten die gerade amtierende Prinzessin von Daligar, immer in Karmesinrot gekleidet und immer mit etwas Kompliziertem und Unbequemem auf dem Kopf. Der Hauptmann war froh, dass man der Kleinen die Kleider gewechselt hatte, um sie zu tarnen, aber er machte sich keine Illusionen. Die Orks wussten nun, dass die Königin-Hexe einen schwachen Punkt hatte, und sie waren weniger dumm, als ihnen nachgesagt wurde. Oben auf dem Ast einer Eiche döste der Adler und auch das beruhigte den Hauptmann. Ein Leibwächter mehr für das kleine Mädchen.
    Die Kleine saß am Boden, eine Puppe und ein Bötchen aus Holz in Händen. Als ihre Blicke sich begegneten, lächelte der Hauptmann sie an, und das Mädchen errötete bis über beide Ohren. Ihre blauen Augen strahlten wie Sterne.
    Der Hauptmann war gerührt. Er hatte die Tochter des letzten Elfen vor sich, sie hatte dasselbe Blut in ihren Adern wie der einzige Prinz, den er als Kommandanten akzeptiert hatte und dem er bis in den Himmel oder bis in die Unterwelt gefolgt wäre.
    »Du hast die gleichen Augen wie dein Vater«, entfuhr es ihm.
    Er hätte sich verfluchen können. Unter allen möglichen Sätzen, die man an ein Mädchen richten konnte, das hatte mit ansehen müssen, wie sein Vater starb, hatte er entschieden den allerdümmsten ausgewählt. Eine Träne stieg ihr in die Augen, dann noch eine und noch eine. Die Tränen summierten sich und es wurde ein untröstliches Weinen daraus. Der Hauptmann verfluchte sich doppelt. Als ob er nicht schon genug Schuld auf sich geladen hätte, darunter die größte, Yorsh nicht beschützt zu haben, hatte er nun obendrein noch sein Töchterchen zum Weinen gebracht. In dem verzweifelten Versuch, sie zu trösten, nahm der Hauptmann sie in den Arm und drückte sie an sich. Das Weinen schien sich nicht beruhigen zu wollen, ja, es artete in heftiges Schluchzen aus.
    Sogar der Gedanke, dass die Königin-Hexe ihm bei lebendigem Leib die Haut abziehen lassen würde, falls sie ihn mit ihrer in Tränen aufgelösten Tochter im Arm erwischte, peinigte ihn weniger als die Verzweiflung des Mädchens und die Vorstellung, sie verursacht zu haben. Der Adler wachte auf, in langsamem Flug glitt er bis zu einem der niedrigeren Äste eines Kastanienbaums herab, um der Kleinen nahe zu sein. Sein Schnabel war genau auf der Höhe der Augen des Hauptmanns, und der hoffte, er würde nicht auf die Idee kommen, es ihm zu vergelten, dass er die Kleine zum Weinen gebracht hatte. Das Schluchzen wurde heftiger, zwischen den Schluchzern wurden abgerissen die Worte »mein Papa« hörbar.
    »Mir fehlt er auch, weißt du?«, flüsterte Rankstrail. »Ich bin ihm nur einmal begegnet, aber er fehlt mir in jedem Augenblick. Wenn er hier sein könnte, wäre der Krieg schon gewonnen und zu Ende. Er hat dich verlassen,

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