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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Exkursionen mitnahm. Bei dieser Gelegenheit stellte er fest, dass viele, auch solche, die größer waren als er selbst, Angst vor der Dunkelheit hatten.
    Für ihn war die Dunkelheit ein willkommenes und freundliches Element, das ihn wie eine Decke einhüllte und worin er sich sicher bewegte. Der Geruchssinn war ihm ein nicht weniger verlässlicher Führer als die Orientierung an Formen und Entfernungen. Die Tatsache, dass man sich vor der Dunkelheit fürchten könnte, erstaunte ihn fast so sehr wie die Feststellung, dass der Verzicht auf Schlaf für andere eine regelrechte Qual sein konnte.
    Rankstrail erlernte die Grundregeln guter Kommandoführung: wenige, klare Befehle, die die Möglichkeiten des Empfängers nicht übersteigen. Ein guter Kommandant schlichtet Streitigkeiten, demütigt niemanden, duldet aber auch keine Demütigung der eigenen Person. Wider alle Gebote der Schicklichkeit und taub gegenüber allem Meckern und Schimpfen, nahm Rankstrail auch Mädchen in seinen Banden auf, wenn sie darum baten (tatsächlich war es nur seine Schwester Fiamma), sodass sie wenigstens eine Wahl hatten. Denn alles, sogar reglos im eiskalten Wasser der Reisfelder zu stehen, das Herz zum Zerspringen klopfend aus Angst vor den Wildhütern, alles erschien ihm tausendmal besser als das Schicksal einer Wäscherin, das sie alle erwartete.
    Als Fiamma zum ersten Mal an einer Expedition teilnahm, musste Rankstrail ihr beibringen, wie man klettert und Hindernisse überwindet. Fiamma lernte schnell, aber bei diesem ersten Mal verloren sie Zeit; jemand wurde ungeduldig, und das verstärkte noch die Empörung darüber, sich das Abenteuer durch die Anwesenheit eines Weibsbilds verderben zu lassen.
    »Das sind die Kinder von der Gebrandmarkten und von dem Idioten, der nichts Besseres weiß, als sich schikanieren zu lassen …«, murrte jemand.
    Auch im Dunkeln hatte Rankstrail gehört, von wem der Kommentar kam. Wut und Hass explodierten in seinem Kopf. Ihm war klar, dass er diesmal nicht wie sonst beim ersten blauen Fleck, bei der ersten Bitte des Gegners um Gnade innehalten würde. Diesmal würde er vor nichts haltmachen, weder vor Blut noch vor brechenden Knochen. Er wollte nur eines: dem anderen die Hände um die Gurgel legen und immer weiter zudrücken, bis da keine Schmähung mehr herauskommen konnte.
    Daraus wurde nichts.
    Mit kecker Stimme kam ihm Fiamma zuvor.
    »Die Götter strafen jeden auf seine Weise. Meiner Mama haben sie eine Verbrennung auferlegt, deine Mutter haben sie mit einem dummen Sohn geschlagen«, zischte sie, ohne dabei etwas von ihrer Fröhlichkeit einzubüßen. »Und ich kann dir versichern, das ist wesentlich schlimmer. Im Leben meiner Mama hat es eine Zeit gegeben, wo sie noch kein Brandmal hatte, und im Jenseits wird sie auch keins mehr tragen. Du aber hast in deinem ganzen Leben keinen einzigen Augenblick gekannt, wo du nicht dumm warst.«
    Alle hielten sich die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken, und Rankstrail atmete auf. Seine Wut legte sich. Mit jedem Augenblick kam sie ihm sinnloser und dümmer vor. Er überlegte sich, dass er schließlich nicht alle Idioten, die ihm über den Weg liefen, umbringen konnte; er würde lernen, es auch so zu machen wie Fiamma, er würde sie bloßstellen, dann brauchte Mama auch nicht traurig darüber zu sein, dass er jemanden verprügelte. Er sagte sich, er müsse aufhören, sich zu prügeln, er müsse versuchen, erst gar nicht damit anzufangen.
    In dieser Nacht musste er sich mit einem leisen Gefühl des Schwindels oder vielleicht des Ekels eingestehen, dass er fähig gewesen wäre zu töten.
    Außer auf Herausforderungen mit Worten zu reagieren, statt mit Fäusten, lernte Rankstrail von Fiamma auch, darauf zu achten, dass man Tieren so wenig Schaden wie möglich zufügte. Er machte es sich zur Regel, die Nester nicht anzurühren, solange Junge darin waren, nie auf die Mütter zu schießen und im Zweifelsfall eben auf die Beute zu verzichten. Rankstrail musste anerkennen, dass Fiammas Beobachtungen sinnvoll waren: Ohne Nester und ohne Eier würde es früher oder später keine Reiher und Dommeln mehr geben und das wäre auch zum Schaden der Jäger.
    Des eigenen Andersseins gewahr zu werden, ist stets ein komplexer Vorgang; daher wurde Rankstrail erst allmählich und widerstrebend bewusst, dass alle anderen, einschließlich Fiamma, die Beute stets einen Augenblick später bemerkten als er selbst. Natürlich wäre es korrekter gewesen zu sagen, dass er die

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