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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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nur flüchtig in den Augenblicken zwischen Wachen und Träumen wieder. Nur wenn Rankstrail schon die Augen zufielen, träumte er von sich selbst, von dem Zeitpunkt, da er der Stadt Varil seinen ganzen Schneid und seine Tapferkeit beweisen würde. Er träumte, eines Tages würde er einen Angriff der Kavallerie befehligen und die belagerte Stadt befreien. Er träumte, bedeckt von Gold und Ruhm würde er Einzug halten in der Stadt, und die Einwohner der Zitadelle würden sich in ihren Gärten und unter Blumengirlanden vor ihm verneigen und ihn zum König machen.
    Doch auch in seinen Kinderträumen von Ruhm und Größe lauerte eine ständige Bedrohung, die mit der Zeit stärker wurde, nämlich das Bewusstsein, dass die Orks eines Tages wiederkommen würden, denn früher oder später kamen sie immer wieder. Das war ein dunkles, aber tief verankertes Wissen, eins von den Dingen, die man weiß, und basta, so wie er wusste, dass er er selbst war und dass seine Kräfte von Tag zu Tag zunahmen. Zuletzt drehte Rankstrail sich auf eine Seite, suchte eine Lage, die für ihn bequem war und seine Läuse nicht allzu sehr behelligte, und überlegte sich, wenn es schlecht lief, könnte er immer noch Söldner werden. So würde er wenigstens die Orks bekämpfen.
    Ein paar Stunden später wachte er auf, es war mitten in der Nacht. Er schlich aus dem Haus und stieg, den zerstreuten Blicken der Wachsoldaten ausweichend, über den Mauerwall, wo in Gärten alles üppig gedieh, Rebstöcke und Feigenbäume ihre Äste ins Leere streckten, und wagte sich hinaus in die eisige Nacht der Reisfelder, um etwas zum Essen aufzutreiben, für sich, seine Familie und all die Unglückseligen, die an die mit Greifen, Reihern und Paradiesvögeln verzierte Tür klopfen und um etwas baten.
    Die Wilderei erwies sich als vielschichtiges Unterfangen, das ganz unterschiedliche und einander ergänzende Fähigkeiten voraussetzte: die Reiher auffinden, sie erlegen, den Wildhütern ausweichen und bei der Rückkehr durch das Große Tor den Blicken der Wachsoldaten entgehen. Zuletzt, zu Hause, war dann der Blick des Vaters. Er hinderte ihn nie daran, auf Jagd zu gehen. Zu Fiamma war noch ein Brüderchen hinzugekommen, Borstril, und dann war da der Husten der Mutter, die nicht mehr als Wäscherin arbeiten konnte, und alle brauchten etwas zu essen … Die Stichhaltigkeit der Gründe vermochte jedoch nichts gegen die Verzweiflung und die Niederlage in den Augen des Vaters auszurichten und gegen seine ständigen Beteuerungen, er habe keinen Hunger, um das, was der Sohn mitbrachte, nicht anrühren zu müssen, womit er nicht nur seine Seele, sondern auch sein leibliches Wohl gefährdete. Die Nachbarn bemerkten, dass es bei ihnen zu essen gab, nicht zuletzt wegen des Bratendufts, der aus ihrem Rauchfang aufstieg, über die Farne und Moose strich, die auf dem Dach wuchsen, und oft klopfte jemand an ihrer Tür und bat um etwas.
    Jede Nacht war Rankstrail in den Reisfeldern. Nicht jede Nacht fing er etwas. Er lernte, die Bewegungen der Wildhüter am rauen Schrei der Eulen zu erkennen. Er lernte, sich zu bewegen, ohne dass er die Eulen aufschreckte, die durch ihren rauen Schrei den Wildhütern seine Anwesenheit anzeigten.
    Er lernte, Müdigkeit, Kälte und Taubheit in den Beinen zu ertragen, wenn er lang reglos im Wasser stand. Er lernte, zu schwimmen wie die Frösche, sodass er überleben konnte, wenn durch einen Schaden an einer Schleuse der Wasserpegel plötzlich anstieg oder wenn die Regenfälle im Herbst die Reisfelder in tiefe Teiche verwandelten. Aus einem kräftigen Weidenzweig fertigte er sich eine Schusswaffe mit größerer Reichweite und spitzen, bohrenden Wurfgeschossen, einen kleinen Jagdbogen, nicht mehr als drei Fuß hoch. Rankstrail schnitzte sein R hinein und versteckte den Bogen in einer hohlen Eiche gleich außerhalb der Mauern. Während er mit der Schleuder seit jeher unschlagbar war, war er mit dem Bogen gut, aber nicht außergewöhnlich. Kaum hatte er ihr den Gebrauch beigebracht, übertraf Fiamma ihn an Geschicklichkeit.
    Reiher und Dommeln, manchmal auch ein Kaninchen oder ein Dachs waren für seine Mutter, für die Kranken, die Kleinkinder und die schwangeren Frauen; als ob das nicht genügte, war da auch noch der Verrückte Schreiber satt zu kriegen. Um ihn vor Steinwürfen zu schützen, erkaufte sich Rankstrail das Wohlwollen und den Gehorsam der Kinder im Äußeren Bezirk, indem er sie in Banden organisierte und sie auf einige seiner nächtlichen

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