Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Todes zu durchschreiten, um das Kind zu grüßen, in dessen Adern sich das Blut der Elfen mit dem der Menschen und der Orks mischte.
Auf der Truhe, wo Parzia die Kindersachen bereitgelegt hatte, sah sie die blau bestickten Hemdchen für Yorsh und die grün bestickten für Arduin, den Kreisel und das Holzpferdchen, die Solario einst für Erbrow geschnitzt hatte, und sie schmunzelte über die Großzügigkeit des Mädchens, das auf sein Spielzeug verzichtet hatte, damit die Brüderchen auch eins hatten. Sie fragte ihre Tochter nach der Puppe und dem Bötchen. In diesem Augenblick war ihr klar geworden, dass sie sie schon länger nicht gesehen hatte.
»Weg«, antwortete sie und breitete die Hände aus.
Rosalba war verärgert.
Das waren ihre alten Spielsachen, Geschenke ihrer Eltern, die Yorsh aus den Trümmern ihres Hauses gerettet und ihr mitgebracht hatte. Sie in Erbrows Händen zu sehen, hatte sie immer mit Zärtlichkeit erfüllt …
»Du hast sie nicht mehr? Du hast sie verloren? Oh nein!«, entschlüpfte es ihr.
Sofort bereute sie es. Die Spielsachen waren ihr egal. Das einzig Wichtige waren ihre Kinder. Sie wollte Erbrow nicht betrüben, in dieser Nacht voller Zärtlichkeit, weil sie die Puppe und das Bötchen verloren hatte, auch wenn das alles war, was ihr von ihrer Kindheit blieb. Unachtsamkeit ist bei Kindern normal. Es ist das ganz gewöhnliche Schicksal von Spielsachen, verloren, zerbrochen oder vergessen zu werden.
Erbrow war aber weder betreten noch zerknirscht.
»Akkail«, erklärte sie munter.
»Rankstrail? Du hast sie Hauptmann Rankstrail gegeben?«, fragte Rosalba erstaunt. »Das Bötchen und die Puppe? Dem Hauptmann?«
»Akkail. Aoa. Bebi«, erklärte Erbrow weiter und breitete wieder die Arme aus, wie jemand, der etwas wirklich völlig Selbstverständliches erklärt.
»Rankstrail, Aurora? Du hast sie Rankstrail und Aurora gegeben für ihre Kinder?«
Erbrow nickte, dann gähnte sie. Rosalba musste lachen. Zum ersten Mal seit Yorshs Tod hörte sie sich selbst wieder lachen.
»Gut gemacht, mein Kind, eine gute Idee. So haben wir den beiden schon ein Hochzeitsgeschenk gemacht.«
Sie sprach mit sich selbst. Ihre Tochter hatte die großen blauen Augen geschlossen und war in den Schlaf hinübergeglitten. Der Weg der Zärtlichkeit, den ihre Puppe und ihr Bötchen genommen hatten, war nicht zu Ende. Jetzt würde er zu den Kindern von Aurora und dem Hauptmann führen.
Dann erinnerte sie sich mit Entsetzen daran, dass sie Aurora verflucht hatte.
Der Gedanke ließ die Freude dieses Augenblicks zusammenschrumpfen wie Frost im April die Apfelblüte.
Rosalba hatte noch nie gebetet.
Niemals in ihrem Leben.
Wenn die Götter nichts vermochten, war es zwecklos, zu ihnen zu beten. Wenn sie allmächtig waren und dennoch zuließen, dass Leid, Elend, Willkür herrschten und dass die Gerechtigkeit mit Füßen getreten und die Unschuld verraten wurde, dann hatte sie nur umso mehr Grund, lieber in die Unterwelt hinabzusteigen, als ein Gebet an sie zu richten. Sie hatte nicht gebetet, als ihre Eltern gehängt wurden. Nicht mal angesichts von Yorshs Tod. Sie hatte nicht darum gebetet, dass ihre Kinder gesund auf die Welt kommen mögen, weil ihr das unschicklich erschien, wenn andere Frauen, die nie etwas Böses getan hatten, an Körper und Geist furchtbar entstellte Kinder zur Welt brachten.
In dieser Nacht betete sie aus ganzer Seele. Sie bat um Verzeihung für ihre Undankbarkeit und entschuldigte sich für ihren Groll. Sie dankte für das Leben, ihres und das aller anderen, auch das der Leidenden und der Missgeburten. Sie sah ein, dass es nicht möglich gewesen wäre, die Menschen zu erschaffen ohne den Schmerz, nicht möglich gewesen wäre, ihnen die Freiheit zu geben, ohne das Böse zuzulassen. Sie sah ein, dass der Schöpfer des Universums nicht die Aufgabe hat, Leid zu verhindern, sondern es zu verstehen. Sie bat um Verzeihung, und darum, dass der Fluch, den sie gegen eine Unschuldige geschleudert hatte, gelöst werden möge. Sie betete und betete. Sie entschuldigte sich dafür, dass sie Argniòlo getötet und seinen sterblichen Überresten nicht die gebührende Achtung erwiesen hatte. Dasselbe tat sie für die Orks, die sie hatte köpfen lassen.
Rosalba vergoss still ihre letzten Tränen und genoss es als die höchste Seligkeit, die Atemzüge und den Geruch ihrer Kinder um sich zu haben, unter der großen weißen Decke, die war wie eine Wolke. Sie stillte die beiden Kleinen, sobald sie aufwachten,
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