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Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork

Titel: Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvana de Mari
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Eschenholz. Um es in die richtige symmetrische Form zu bringen, kerbte er es mit dem Messer ein, das er im Gürtel trug und das ihm der Dorfvorsteher von Scannuruzzu am Ende ihrer ersten Verhandlungen zum Geschenk gemacht hatte. Als Sehne verwendete er das geflochtene Lederband, das seine Flöte in eine Schleuder verwandelte. Dieses Band war eine Erinnerung an seine Familie und ihre Geschichte, er hing daran, aber angesichts der verzweifelt unausgefüllten Zeit des Kindes und in Ermangelung von anderem beschloss er, es zu opfern, er würde schon ein anderes Band für die Schleuder finden. Nachdem so die Sehne des kleinen, geschwungenen Eschenholzbogens hergestellt war, kamen die Pfeile dran, zwei insgesamt, aus Nussbaumzweigen. Um die Spitze der Pfeile zu beschweren, umkleidete Rankstrail sie mit zwei seiner insgesamt drei Eingroschenmünzen, womit er zwei Drittel seiner ganzen Habe opferte, sie waren sehr dünn und daher leicht in Kegelform zu biegen; zuvor aber zeigte er sie dem Mädchen, das aufmerksam zusah und sich auch sämtliche Erklärungen über das Geld, den Wert der Dinge anhörte, über die Berechnungen, die man anstellen muss, wenn man etwas kaufen will, wofür man nicht genug Geld hat, wie ein Pferd oder Arzneien beim Apotheker, wenn jemand, den man lieb hat, krank ist.
    Das Ende der Pfeile tarierte Rankstrail mit Taubenfedern aus, die er in einem Nest entdeckt hatte.
    Um es zu erreichen, musste er auf den Nussbaum klettern, dessen untere Zweige das Holz für die Pfeile geliefert hatte. Der junge Hauptmann, der mit seinem gewohnten Harnisch aus Metall- und Lederplättchen sogar einen völlig glatten Pfahl hinaufgeklettert wäre, legte endlich den unerträglichen und funkelnden Harnisch der Schweren Kavallerie ab, in der Hoffnung, dass auch auf dieses Vergehen keine schlimmere Strafe stünde als Auspeitschen.
    Während er alles Nötige herstellte, redete Rankstrail unentwegt. Er schilderte Aurora die Stadt Varil, die Reiher, die Sümpfe, die Reisfelder, die großen Flächen mit Mandelbäumen rings um die Stadt, den Hügel mit den Orangen- und Olivenhainen. Sonst war Rankstrail eher wortkarg; niemals hätte er gedacht, dass er einen ganzen Vormittag damit zubringen könnte, einem Mädchen mit echten Silberfäden in den Samt- und Brokatgewändern zu erzählen, wie er und seine Geschwister gelernt hatten, sich ihre Kleider mit Federn zu flicken, die sie in Vogelnestern fanden.
    Die Sache war die: Er, der Kinder gesehen hatte, die sich im Schlamm der Pfützen um Kohlstrünke balgten; er, der Kinder gesehen hatte, denen der Krieg ins Gesicht geschrieben stand; er, der mitgeholfen hatte, diejenigen zu begraben, die keinen Krieg und auch sonst nichts mehr sehen würden; er, der mit ansehen hatte müssen, wie seine Mutter an Husten starb; er, der, noch bevor er sprechen konnte, wusste, wie man es anstellt, ein Stück Brot einen ganzen Tag lang vorhalten zu lassen – sogar er war wie versteinert angesichts der Traurigkeit, der Leere, des Nichts, das im Grün dieser Augen lag.
    Er schilderte Aurora den Äußeren Bezirk und seine Bewohner, die Schwarzen Banditen, die Kühe, den Geldverleiher, Scannuruzzu, den Hochfels, die Hochebene von Kastaneda, erhaben und großartig, wo das Gras schöner war, als man sich vorstellen kann, und das Wasser klar und rein wie im Garten der Götter. Er erzählte ihr von der Hochebene mit ihren Wasserläufen, schilderte ihr die Gegend, die so herb und zugleich lieblich war wie nur das Land, wo Milch und Honig fließen, und erklärte, das sei ein magischer Ort, wo man bestimmt gut sterben könnte. Aurora lauschte ihm in andächtigem Schweigen; unverwandt hielt sie ihre Blicke auf ihn gerichtet und ließ sich kein Wort entgehen. Und unter seinem Blick und beim Klang seiner Stimme regten sich Intelligenz und Leben in ihnen. Rankstrail hatte von allem Möglichen geredet, nur um nicht aufzuhören mit Reden.
    Er hatte ihr sogar erzählt, wie er als Kind ganz allein gelernt hatte, den Bogen zu gebrauchen, in den Sümpfen, und die großen Graureiher und die kleinen Dommeln hatten die Mahlzeiten aus Schnecken und Fröschen bei ihnen zu Hause aufgebessert. Er erklärte ihr, warum er nachts in die Sümpfe gehen musste. Für die Bewohner des Äußeren Bezirks war die Jagd verboten, da das Jagdwild den Bewohnern der Oberstadt vorbehalten war, und er erzählte ihr, wie er gelernt hatte, die Position der Jagdhüter aus dem Reiherflug zu bestimmen.
    »Wisst Ihr, mein Fräulein, im Dunkel der Nacht

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