Die Letzten ihrer Art 02 - Der letzte Ork
Stoffband festgebunden wurden. Schon das kostete jede Menge Zeit, und Fiamma zappelte ungeduldig, wollte davonlaufen. Rankstrail fragte sich, wie viel Zeit man wohl jeden Morgen brauchte, um all diese Zöpfchen zu flechten und zu winden und unter das Netz aus Silber und Perlen zu bringen, wie viel Stillehalten und Langweile das erforderte, und das Ganze kam ihm absurd vor.
Das Mädchen war umringt von einer Schar Höflinge, die Rankstrail nicht genau zählen konnte, aber es mussten mindestens fünfzig Personen sein, Damen und Kavaliere, Diener, Gesellschaftsdamen und Pagen. Alle fühlten sich verpflichtet, dem Mädchen ihre Aufwartung zu machen, und sie stimmten ausführliche Lobreden an auf ihre Anmut, ihre Schönheit, ihren feinen, durchscheinenden Teint, das Strahlen ihrer Augen, den Glanz ihrer Haare und irgendjemand erwähnte auch den Liebreiz der Stickereien auf ihren Schuhen. Steif und gerade stand das Mädchen da und dankte allen mit einem leichten Kopfnicken.
Rankstrail dachte, dass auch ein Kompliment, unendliche Male wiederholt, ein Fluch werden kann: Vielleicht blieben deshalb die Augen des Mädchens nicht immer auf das Gesicht des Gesprächspartners gerichtet, sondern schweiften ab und verloren sich im Leeren.
Endlich rückte der Zeitpunkt für den Beginn der Feierlichkeiten heran und alle stürzten hinaus. Die großen, mit massivem Silber beschlagenen Torflügel öffneten sich und der Schwarm drängte aus den Palastmauern hinaus auf die sonnenüberflutete Straße. Eine Schar Kinder verschiedenen Alters spielte ein kompliziertes Spiel mit einem aus Lumpen zusammengenähten Stoffball. Als sich die Torflügel öffneten, wurde das Geschrei der kleinen Racker lauter. Bitten um milde Gaben mischten sich hinein, Späße und ebenso fantasievolle Beschimpfungen aus Empörung über verweigerte Almosen, schließlich rennende Schritte, um Fußtritte und Schläge zu vermeiden.
Durch die Toröffnung betrachtete Aurora die Kinder draußen. Ihr Blick belebte sich, und erst da wurde Rankstrail gewahr, wie leer und düster er normalerweise war, traurig und leer wie ein tiefer Teich ohne Leben darin. Als das Tor sich wieder schloss, starrte Aurora untröstlich weiter auf diesen Punkt, von wo einen Augenblick lang Sonne und Geschrei von der Straße in den Garten gedrungen waren; dann erstarrte sie wieder in ihren Gewändern aus Samt und Brokat, ihr Blick glitt erneut ins Leere und reglos wie eine vergessene Statue blieb sie da stehen.
Rankstrail fand das unerträglich.
Er hatte immer mit Kindern zu tun gehabt. Er hatte Fiamma großgezogen und die anderen Kinder im Äußeren Bezirk gleich mit, Kinder von Vätern, die weit weg waren, oder von verschollenen Müttern. Weil sie niemanden hatten, an den sie sich klammern konnten, hatten sie sich an ihn geklammert.
Bei Androhung drastischer Strafen hatte man ihn zu Schweigen und Stillhalten verpflichtet, aber still zu bleiben vor einem Kind, das diese Leere in den Augen hatte, erschien ihm nicht weniger schlimm, als untätig zuzusehen, wie jemand ertrank.
Er überlegte sich, dass er das Zeremoniell des Auspeitschens ja schon kannte, also wusste, dass man nicht daran stirbt und dass man ihm den Rang des Hauptmanns nicht nehmen konnte, weil er ihm gar nie verliehen worden war.
Er trat aus dem Schatten der Weide heraus, nahm den Helm ab und wagte, das Wort an das Mädchen zu richten.
»He, Euer Gnaden«, fing er an, war sich aber über die Anredeform nicht sicher. Vielleicht hätte bei ihrem Alter ein einfaches »Fräulein« genügt, aber er tappte da im Ungewissen. »Verzeiht, Euer Gnaden, ähm, entschuldigt, ich will ja nicht stören, aber ich dachte … na ja … würde ein Bogen Euch vielleicht Freude machen? Möchtet Ihr einen Bogen? Ihr wisst schon, um Pfeile abzuschießen … Ich habe auch für meine Schwester einen gemacht, sie ist etwas größer als Ihr. Als ich ihr vor ein paar Jahren den Bogen gemacht habe, war sie etwa so groß, wie Ihr jetzt seid, und sie hat viel Spaß mit dem Bogen. Dann hättet Ihr zum Spielen nicht nur die Schaukel, sondern gleich zwei Dinge, was immer besser ist als nur eins allein. Wenn Ihr wollt, mache ich auch für Euch einen Bogen, und dann bringe ich Euch bei, wie man ihn benutzt.«
Aurora heftete ihren stillen Blick auf ihn. Sie sah ihn lang an, wobei sich Leben in dem tiefen Teich regte, dann nickte sie.
Die Herstellung des Bogens und der Pfeile nahm einen Gutteil des Vormittags in Anspruch. Für den Bogen verwendete Rankstrail
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