Die letzten ihrer Art
einfallen lassen. Also sagte er: ›Folgendes passiert: Der Gorilla prügelt den Löwen windelweich, rollt seinen Körper in Blätter und Zweige ein und trampelt dann darauf herum.‹ Ich hab von der Geschichte gehört, weil der Tourist anschließend zu mir kam und mir erzählt hat, wie irrsinnig faszinierend er das gefunden habe. Es gefällt mir nicht, wenn sie sich diese originellen Antworten ausdenken. Wenn man ihnen bloß klarmachen könnte, daß sie, falls sie die Antwort nicht wissen oder für nicht besonders interessant halten, das lieber zugeben sollen, als sich kompletten Schwachsinn auszudenken.«
Außer Frage aber stand, daß sich unsere Führer, wenn sie sich nicht gerade irgendwas ausdachten oder ihre Rambo-Phantasien auslebten, wirklich gut im Wald auskannten und eine Menge über Gorillas wußten. Sie hatten (wie Conrad Aveling durchgehend begeistert bestätigte) zwei Mitglieder der Gorillagruppe an den Kontakt mit Menschen »gewöhnt«. Dieses »Gewöhnen« ist ein sehr langwieriges, kompliziertes und heikles Unterfangen, besteht aber, kurz gesagt, darin, Kontakt zu einer Gruppe in der Wildnis aufzunehmen, sie über einen Zeitraum von Monaten oder gar Jahren tagtäglich zu besuchen – sofern man sie findet – und sie so zu trainieren, daß sie die Gegenwart von Menschen dulden, um sie schließlich studieren und selbst in Begleitung von Touristen aufsuchen zu können.
Die Dauer dieser Gewöhnungszeit hängt allein vom dominanten Silberrücken ab. Er ist derjenige, dessen Vertrauen man gewinnen muß. Bei der Familiengruppe, die wir besuchten, hatte es volle drei Jahre gedauert. Conrad Aveling hatte die ersten acht Monate bei diesem Projekt damit verbracht, mit den Gorillas durchs Unterholz zu kriechen, ohne dabei jemals einen von ihnen tatsächlich zu Gesicht zu bekommen, obwohl er häufig nicht weiter als fünf oder zehn Meter von ihnen entfernt war.
»Eins der Probleme bei der Gewöhnung in einer solchen Umgebung ist«, erklärte er uns, »daß man sich vor lauter Dickicht nicht sehen kann und deshalb ständig mit diesen plötzlichen Begegnungen in nur drei, vier Metern Entfernung rechnen muß, wobei man sich aber noch immer nicht sehen kann. Da fährt natürlich jeder aus der Haut. Der Gorilla fährt aus seiner Haut und ich aus meiner. Das ist unglaublich aufregend. Man bekommt einen richtigen Adrenalinstoß. Das Problem mit der Gruppe aus Bukavu war, daß der Silberrücken nicht auf mich losgehen wollte. Ich wollte aber, daß er das tat, weil er sich dann hätte zeigen müssen und begriffen hätte, daß ich keine Bedrohung darstellte. Aber er machte es einfach nicht, sondern umkreiste mich nur weiter. Normalerweise gehen sie auf einen los, und wenn sie das tun und man ihnen Auge in Auge gegenübersteht, haben beide Parteien einen Augenblick Zeit zu begreifen, daß keiner für den anderen eine Bedrohung darstellt, und der Gorilla wird sich zurückziehen.«
»Aber man nimmt doch wohl eine Unterwerfungshaltung ein, oder?« fragte Mark. »Man stellt sich ihm doch nicht?«
»Nein, ich nehme grundsätzlich keine Unterwerfungshaltung ein. Normalerweise kann ich mich vor Angst nicht bewegen.«
Hat der Silberrücken den Menschen erst einmal akzeptiert, schließt sich nicht nur der Rest der Gruppe zügig an, sondern lassen sich interessanterweise auch andere, im selben Gebiet lebende Gruppen gewöhnlich bedeutend schneller an die Gegenwart von Menschen gewöhnen. Ärger gibt es dabei so gut wie nie, vorausgesetzt, alle Beteiligten behandeln einander mit angemessenem Respekt. Die Gorillas sind absolut imstande, deutlich zu machen, wenn sie nicht gestört werden wollen. In einem Fall hatte eine Gorillagruppe wegen eines Zusammentreffens mit einer anderen Gorillagruppe einen besonders stressigen Vormittag verbracht und wollte um nichts in der Welt nachmittags von Menschen belästigt werden; als ein Spurenleser einige Touristen anschleppte und länger als erwünscht blieb, griff sich der Silberrücken die Hand des Spurenlesers und biß ihm ganz behutsam die Uhr ab.
Das Geschäft mit dem Tourismus ist und bleibt vertrackt. Ich selbst hatte die Gorillas schon seit Jahren besuchen wollen, mich jedoch aus Sorge, der Tourismus könne sowohl ihren Lebensraum als auch ihre Lebensgewohnheiten beeinträchtigen, abschrecken lassen. Außerdem besteht die Gefahr, die Gorillas Krankheiten auszusetzen, gegen die sie nicht immun sind. Bekanntlich war ja auch Dian Fossey, die berühmte, einzigartige Vorkämpferin des
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