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Die letzten Städte der Erde

Die letzten Städte der Erde

Titel: Die letzten Städte der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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war es nur die Hälfte, die Löwen- und Phönix-Regimenter, die Streitkräfte, die im Zuge des Jahreswechsels aktiviert worden waren. Die übrigen schauten nur zu.
    So auch Tao Hua und Kan Te, beide vom Drachen.
    Kan Te war jung und hochgewachsen, ein Sohn des Wächters vom Tor des Morgens, ein herausragender junger Mann mit geraden Gliedern und hellem Blick und obendrein einem tapferen Herzen; und Tao Hua, eine so wunderschöne junge Frau, wie Kan Te ein prächtiger junger Mann war, Tochter berühmter Tuschmaler. Sie sollten in Kürze heiraten. Alle Welt war gut zu Tao Hua und Kan Te, und gemeinsam mit dem Rest der jubelnden Stadt zeigten sie sich voller Optimismus, standen auf den Wällen neben dem westlichen Tor, um ihren Kameraden jubelnd zuzuwinken und das Spektakel zu betrachten. Ihre Stimmung hob sich bei dieser Herausstellung der Tapferkeit. Der Kampf selbst war etwas jenseits ihrer Vorstellungskraft, denn obwohl sie Soldaten waren, hatten sie noch nie ernsthaft kämpfen müssen. Gewöhnlich wurden aus der Ferne Schüsse abgegeben, ein paar Barbaren fielen, und das war schon das Ende des Krieges. Alles verlief sehr ordentlich und keine blanke, blumengeschmückte Rüstung wurde besudelt; tatsächlich war, lange vor der Geburt von Tao Hua und Kan Te, die Armee von ihrer letzten Schlacht mit unverwelkten Blumen und siegreich zurückgekehrt.
    Trommeln und Becken erschallten, und die Drachentänzer schlängelten sich in einer Kette an der Flanke der Armee entlang, während sie durch das Tor zog.
    »Vielleicht werden wir einberufen«, sagte Tao Hua. »Vielleicht«, meinte Kan Te eingedenk des Umfangs der Wolke; aber eine leise Furcht war in seinem Herzen, denn er hatte seinen Urgroßvater mit seinen Großeltern und Eltern sprechen hören, als er vom Rat gekommen war. »Der Rat war gespalten in der Frage, ob mehr ausgeschickt werden sollen.«
    »Löwe und Phönix sind sehr tapfer«, sagte Tao Hua.
    »Es sind nicht genug«, sagte Kan Te, dessen Gewißheit in dieser Frage immer größer wurde. Er sollte eigentlich keine Geschichten weitererzählen, Sachen, die er im Familienkreis gehört hatte, aber Tao Hua behielt sie ja für sich. Er nahm sie an der Hand, und sie sahen zu, wie das Licht der sterbenden Sonne den Staub mit seltsamen Farben überzog. »Einige wollten die Mauern von innen her verteidigen, und andere wollten mit allen Kräften hinausmarschieren; und das Ergebnis war... der Rat schickt eine Hälfte hinaus und hält die andere zurück. Sie meinen, es würde die Leute unnötig in Panik versetzen, wenn man mehr schickt.«
    Tao Hua blickte zu ihm auf, ihr Gesicht ganz gelassen und vergoldet von der Sonne, und Kan Te dachte wieder daran, wie sehr er sie liebte. Er hatte Angst, spürte, wie seine Welt erschüttert wurde, ausgelöst durch trampelnde Hufe und Füße, angekündigt vom Staub.
    »Ich hatte einen Traum«, sagte er weiter, »in dem alles Gras auf den Ebenen verschwunden war. Ich träumte, daß die Erde vor Menschen und Tieren wimmelte und daß sie sich sehr ähnelten. Ich träumte von Zelten und Lagerfeuern, wie Sterne über alle Ebenen der Welt ausgebreitet; ich träumte, daß der Mond vom Himmel fiel, und der Mond war stets die Hoffnung der Stadt.«
    Tao Hua starrte ihn an, wobei ihre schwarzen Augen die dahinziehenden Wolken reflektierten, und er dachte wieder an den herabfallenden Mond, empfand in keiner Hinsicht Trost darüber, daß er von dem Traum erzählt hatte. Stets hatte es so ausgesehen, als sei ausreichend Zeit: das Ende der Welt kroch in gemächlichem Tempo heran, und in diesem Ende waren der Schönheiten genug. Ambitionen bestanden keine mehr; wohl aber Zeit – all die Zeit, die die Menschen für ihr Leben brauchten. Nur die Erde war alt geworden, die Liebe nicht.
    Zum erstenmal trat der Gedanke an den Tod zwischen sie.
    Die Marschkolonne bewegte sich langsam, unaufhaltsam in ihrem Zug über die Ebene der Welt, ein Strom, der vor Jahren in Tarim begonnen hatte und der bis an den westlichen Rand der Weltebene gewogt war; der jetzt vervielfacht zurückfloß, bis das Auge seine Breite nicht mehr überblicken konnte, ganz zu schweigen von der Länge.
    Der General ritt an der Spitze der Kolonne, Yilan Baba, wie ihn seine Männer nannten, Vater Schlange – ja, eine Schlange war er schon seit seiner Jugend gewesen, listig und tödlich in seinem Biß. Aber jetzt war er sehr alt, im Sattel gehalten von Pelzen und der Gewohnheit langer Jahre auf Pferderücken. Was ihn trug, war ein altes Pony,

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