Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
dubiosen Geschäften »erarbeitet« hatten. Für die Aufnahme Zyperns waren aber weniger ökonomische als politische und strategische Überlegungen entscheidend. An der Schnittstelle von Europa, Afrika und Asien gelegen, ist eine Insel viel wertvoller als der größte und modernste Flugzeugträger.
Noch im Jahre 2010 bestanden die beiden größten zyprischen Banken, die im März 2013 abgewickelt beziehungsweise umstrukturiert werden mussten, einen »Stresstest«, der ihnen von der EZB verordnet worden war. Sie schütteten großzügig Dividende aus und kauften griechische Staatsanleihen in Mengen auf. Und niemandem fiel etwas auf. Drei Jahre später war das Spiel vorbei. Rien ne va plus!
Heute sagt Finanzminister Schäuble, die »Rettungsaktion« für Zypern sei kein Vorbild für andere kriselnde Euro-Länder. »Zypern ist und bleibt ein spezieller Einzelfall«, da die Banken nicht mehr zahlungsfähig waren und der Staat nicht das Geld hatte, um die Einlagen zu sichern, habe man entschieden, »Eigentümer und Gläubiger an den Kosten zu beteiligen, also diejenigen, die die Krise mit verursacht haben«.
An dieser Stelle hätten Schäubles Gesprächspartner stutzen und eine Zwischenfrage stellen müssen: »Wieso haben die Eigentümer und Gläubiger die Krise mit verursacht und nicht die Finanzminister der EU , die EZB und andere Experten, die keine Einwände gegen die Aufnahme Zyperns in die EU und in die Euro-Zone erhoben und bis eine Minute vor zwölf nichts bemerkt hatten? Müsste man nicht diese Verantwortlichen in die Haftung nehmen?«
Schäubles Gesprächspartner hätten zudem darauf hinweisen können, dass auch Irland, Portugal, Griechenland und Spanien »spezielle Einzelfälle« waren und dass Slowenien, Frankreich und Italien kurz davor stehen, in die Liste der speziellen Einzelfälle aufgenommen zu werden, möglicherweise auch Malta und Luxemburg, deren Bankensektoren ebenso überdimensioniert sind, wie dies in Zypern der Fall war.
Aber solche Fragen zu stellen, wäre gegenüber einer finanzpolitischen Kapazität wie Schäuble unbotmäßig gewesen. Außerdem war das, was Schäuble zu sagen hatte, dermaßen faszinierend, dass es tatsächlich besser war, ihn ausreden zu lassen.
Mit den getroffenen Maßnahmen seien »die Glaubwürdigkeit bei den Steuerzahlern in den Euro-Staaten und damit auch das Vertrauen in den Euro« gestärkt worden. Der Euro habe sich »auch in der Krise bewährt«, bis jetzt »ist alles viel besser gelaufen, als die vielen Experten vorhergesagt haben«. Und: »Ich sage: Wir werden in den Geschichtsbüchern lesen, dass diese Krise Europa noch stärker zusammengebracht hat. Wenn man betrachtet, wie es zu meiner Jugendzeit in Deutschland und Europa aussah, muss man doch sagen: Wir leben in einer sehr glücklichen Zeit.«
Atemberaubend, nicht wahr? Wie der Witz von dem Mann, der aus dem 50. Stock in die Tiefe springt und in Höhe des 30. Stockwerks denkt: »Bis jetzt ist ja noch alles gut gegangen!« Und wenn man bedenkt, wie es zur Zeit der großen Pest Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa aussah, wie während des 30-jährigen Krieges die Lebensbedingungen waren und was im Laufe der Französischen Revolution in Paris los war, dann muss man Schäuble recht geben: Uns geht’s ja noch gold!
Während Schäuble einen Satz von Nietzsche paraphrasierte – »Was mich nicht umbringt, macht mich stärker« –, war jeder vierte Jugendliche in Spanien und Italien nicht nur arbeitslos, sondern auch ohne jede Aussicht auf eine Änderung seiner Situation, mussten Patienten in griechischen Krankenhäusern von ihren Verwandten versorgt werden, weil den Hospitälern das Geld für Lebensmittel und Medikamente ausgegangen war.
Selber schuld, könnte man sagen, warum haben die auch so schlecht gewirtschaftet? Die Antwort ist ganz einfach: Weil sie gar nicht anders konnten. Die Idee des schwedischen »Volksheims«, in dem alle für alle haften, die Einkommen und Steuererklärungen der Bürger im Internet eingesehen werden können, lässt sich nicht auf Portugal und Spanien übertragen. Die Vorstellung, Steuern zahlen zu müssen, war in Griechenland schon immer so beliebt wie in Dänemark das Alphornblasen. Der zivile Ungehorsam, den die Franzosen gegenüber ihren Autoritäten pflegen, ist von einer ganz anderen Art als die antiautoritäre Erziehung in Deutschland, deren Opfer heute gegen den Leistungsdruck rebellieren, der zwischen ihnen und der Verbeamtung unüberwindbare Hürden aufbaut. Man kann die
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