Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
Otto Rehhagel nach Griechenland schickt, der im Jahre 2004 als Trainer der griechischen Nationalmannschaft den Europameistertitel nach Griechenland geholt hatte und seitdem von den Griechen verehrt wird. Um »die enge Verbundenheit von Deutschen und Griechen deutlich zu machen«, verteilte »Rehakles« alias »König Otto« Trikots an junge Griechen und nahm an der Eröffnung einer Berufsschule teil. Derweil die Kanzlerin zeitgleich und daheim sich um die wirklich wichtigen Dinge kümmerte und auf Einladung des »Bundesverbandes freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen« ein Modellprojekt im Bad Kreuznach besuchte: »Wohnen für (Mehr)Generationen – Gemeinschaft stärken, Quartiere beleben«.
Das habe ich mir nicht ausgedacht, es sind Pointen, die das Leben schreibt. Sie offenbaren die schiere Ratlosigkeit des politischen Personals, dem wir jeden Abend in der Tagesschau begegnen, wenn sie Nullsätze von sich geben, in denen es dann heißt, sie seien mit der Entwicklung sehr zufrieden und würden alles tun, um die Schäden zu reparieren, die sie angerichtet haben.
Nein, so deutlich sagen sie es natürlich nicht, das käme einem Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit gleich, aber das ist die Botschaft zwischen den Zeilen. Gebt uns noch eine Chance! Wenn es schon verkehrt war, Zypern in die EU und die Euro-Zone aufzunehmen, dann sind wir konsequent und zwingen Zypern dazu, pardon: helfen den Zyprern, in der EU und der Euro-Zone zu bleiben. Hanns Dieter Hüsch, das schwarze Schaf vom Niederrhein, hat so ein Verhalten auf eine sehr präzise Formel gebracht: »Mach ich auf der Bühne einen Fehler, mach ich gleich einen zweiten hinterher, dann sieht es nach Methode aus.«
Und je mehr Menschen begreifen, dass ihnen ein Kartenhaus als ein »Mehr-Generationen-Projekt« verkauft wird, das »die Gemeinschaft stärken« und die »Quartiere beleben« soll, umso hysterischer werden die Bemühungen, das fragile Gebilde vor einem Einsturz zu bewahren. So war es auch in der Endphase der Sowjetunion, als allen klar wurde, dass dem Riesen die Puste ausgegangen war. Heute ist es Bundesfinanzminister Schäuble, der ohne einen Anflug von Scham sagt, die wichtigste Aufgabe sei, dafür zu sorgen, »dass wir stark genug sind, alle im Boot zu halten«.
Allein, die Metapher ist vollkommen daneben. Was Schäuble meint, ist ein Konvoi, aus dem kein Boot ausscheren soll. Wobei er übersieht, dass in einem Konvoi das langsamste Boot das Tempo bestimmt. Im Grunde ist die Sache ganz einfach. Alles, was man zum Verständnis der aktuellen Krise wissen muss, findet man in zwei Märchen. »Des Kaisers neue Kleider« von Hans Christian Andersen und »Vom Fischer und seine Frau« der Brüder Grimm. Für den letzten Rest an Klarheit sorgt eine alte jüdische Anekdote.
Ein alter Jude sitzt im Zug unterwegs von Berdytschew nach Zytomyr. Es ist ein Personenzug, der an jeder Station hält. Und wann immer der Zug an einem Bahnhof hält, bricht der alte Jude in lautes Jammern aus. »Ojwej, Ojgewalt! Was tu ich nur, was tu ich nur!« Mit jedem Stopp wird das Jammern lauter und lauter. Schließlich erbarmt sich einer der Mitreisenden und fragt den alten Juden: »Was haben Sie denn, geht es Ihnen nicht gut, kann ich etwas für Sie tun?« – »Nein«, klagt der alte Jude, »Sie können nichts für mich tun. Ich sitze im falschen Zug und mit jeder Station wird die Rückreise länger.«
6. Unterwegs im europäischen Förderdschungel
Döbeln ist eine Stadt mitten in Sachsen. 40 Kilometer westlich von Dresden, 50 Kilometer nordöstlich von Chemnitz, 60 Kilometer südöstlich von Leipzig. Die Orte rund um Döbeln heißen Hartha, Mittweida, Riesa und Grimma. Mit 21000 Einwohnern hat die »Große Kreisstadt« eine sehr überschaubare Größe und dennoch eine erstaunliche Infrastruktur. Sie verfügt über einen sehr ansehnlichen »Hauptbahnhof«, ein Krankenhaus mit 195 Betten, eine Spielstätte des »Mittelsächsischen Theaters«, ein Kino, eine Bibliothek und eine Musikschule. Weil in Döbeln von 1892 bis 1926 eine Pferdebahn vom Hauptbahnhof in die Innenstadt verkehrte, wurde hier 2009 das »Deutsche Pferdebahnmuseum« eröffnet.
Die andere große Attraktion der Stadt ist ein 4,60 Meter großer Stiefel, der 1925 zur 600-Jahr-Feier der Schuhmacher-Innung angefertigt wurde. Er kann im Rathaus besichtigt werden. Einmal im Jahr feiern die Bürger von Döbeln ein »Stiefelfest« – mit einer Stiefelparade und der Wahl einer Stiefelkönigin. Eine ganz normale
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