Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
mentalen Unterschiede nicht leugnen, sie prägen nicht nur die gesellschaftliche, sondern auch die ökonomische Kultur eines Landes.
Solange die Finnen und die Italiener, die Deutschen und die Spanier, die Portugiesen und die Griechen, die Belgier und die Österreicher auf eigene Rechnung und eigenes Risiko wirtschaften durften, konnten sie auf Veränderungen flexibel reagieren. Ihre Währungen auf- und abwerten, die Importe drosseln, die Exporte fördern oder auch umgekehrt. Das hatte Vor- und Nachteile, aber es zwang jede Nation, in eigener Verantwortung zu handeln. Es gab keine Möglichkeit, das eigene Versagen auf andere abzuwälzen.
Mit der EU und dem Euro setzte sich, allen Sonderregelungen zum Trotz, dann das Prinzip »One size fits all« durch. Stellen Sie sich vor, man würde Arnold Schwarzenegger und Danny DeVito zwingen, ihre Anzüge nicht nur im selben Laden zu kaufen, sondern auch die gleichen Größen zu tragen. Das wäre eine lustige Idee für eine Filmkomödie. Wenn aber alle Unionisten die gleichen Glühbirnen verwenden sollen, dann ist das nicht komisch, sondern ein Gebot der ökologischen und ökonomischen Vernunft. Ich werde später noch darauf zurückkommen, was sich die EU -Regenten so alles einfallen lassen, um das Leben der EU -Bürger zu standardisieren.
Die wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit, die das Wohlergehen aller Teilnehmer garantieren soll, setzt ebenfalls eine relativ große Schnittmenge in Sachen Mentalität und Kultur voraus. Soll heißen: die mehr oder weniger gleiche Idee von Arbeitsmoral, Disziplin, Fleiß, Geselligkeit und Verantwortung. Nehmen wir als überschaubares Beispiel eine Wohngemeinschaft, in der vereinbart wurde, alle Einnahmen der Bewohner in einen Topf zu werfen und sie entsprechend der Marxschen Regel »jedem nach seinen Bedürfnissen« zu verteilen. Das geht so lange gut, wie derjenige, der morgens früh aufsteht und zur Arbeit geht, eines Tages feststellt, dass er diejenigen mitfinanziert, die lieber lange schlafen und nur gelegentlich arbeiten. Nicht etwa, weil sie faul sind, sondern weil sie andere Prioritäten haben, die sie aber nur deswegen ausleben können, weil einer bereit ist, mit ihnen zu teilen. (So funktioniert auch der Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik, wie schon erwähnt.)
Die Stimmung in der Wohngemeinschaft verschlechtert sich. Dennoch will man unbedingt an dem Prinzip der gemeinsamen Kasse festhalten. Das sei ein gutes und zuverlässiges Modell, das man nur ein wenig neu justieren müsse. Bei einer Vollversammlung stellt sich dann heraus, dass der Frühaufsteher für die schlechte Stimmung verantwortlich gemacht wird. Nicht nur, dass er meckert, er macht den anderen auch ein schlechtes Gewissen. Klar, er finanziert den Laden, aber wenn er allein leben würde, müsste er auf die lustigen Abende verzichten, an denen gesungen, getanzt und gemeinsam gekocht wird. Das sei doch auch was wert, oder?
Sie sehen, worauf ich hinaus will. Die EU ist eine WG . Und Deutschland ist der fleißige Frühaufsteher, oder wie es im EU -Jargon heißt: der größte Nettozahler. Deswegen ist Deutschland auch der größte Buhmann Europas, worüber sich die Deutschen ganz schrecklich wundern, als hätten sie noch nie das britische Sprichwort gehört: »No good deed goes unpunished« – keine gute Tat bleibt ungestraft. Klassenbeste und Streber sind eben unbeliebt, man schreibt bei ihnen gerne ab, verachtet sie aber zugleich. Was haben die Deutschen denn erwartet? Dankbarkeit? Jeden Morgen ein Glas Spumante ans Bett? Abends ein Gläschen Retsina zum Einschlafen? Und mittags eine Bouillabaisse für alle?
Die Deutschen wehren sich gegen eine Führungsrolle, die sie längst eingenommen haben. Nicht aufgrund einer Verschwörung, wie viele in Europa vermuten, sondern aufgrund der objektiven Umstände. Sie sind das bevölkerungsreichste Land, die größte Wirtschaftsmacht in Europa, und sie haben eine Infrastruktur, die der ihrer Konkurrenten überlegen ist. Was an ein Wunder grenzt, wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Deutsche aus Prinzip nicht arbeiten (Berliner), unproduktiven Tätigkeiten nachgehen (Sozialpädagogen, Integrationsberater, Frauenbeauftragte) oder die Zeit bis zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens mit Klagen über die zunehmende soziale Kälte überbrücken. Zwischendurch erschrecken die Deutschen über sich selbst und beschließen, etwas gegen ihr angeschlagenes Image zu tun. Das ist der Moment, da Angela Merkel
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