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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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auf Facebook habe es »lebhafte Diskussionen« gegeben, rund 7000 Kommentare seien gepostet worden. Das Einzige, was die Organisatoren nicht preisgaben, war der Betrag, den das sinnlose Projekt gekostet hatte.
    Als einen Monat später die Zypern-Krise ausbrach, gaben Tausende von Zyprioten ein Zwangsbekenntnis zu Europa ab, indem sie sich in lange Schlangen vor den Bankomaten einreihten. Die »Engagierten Europäer« schauten dem Spektakel aus sicherer Entfernung zu, wobei sie über das hysterische Verhalten der Zyprer staunten, die sich allein um ihre Einlagen Sorgen machten, statt zu begreifen, dass »wir alle im selben Boot sitzen«.
    Solche Kampagnen wie die der »Engagierten Europäer« werden von Agenturen durchgeführt, die sich auf Image-Werbung spezialisiert haben. Sie promoten nicht Produkte, die Sie bei Edeka und Rewe im Regal finden, sondern gute Laune. Und natürlich machen sie es nicht für ein »Vergelt’s Gott!«. Vermutlich gibt es im Förderdschungel der EU auch dafür eine Quelle, aus der die Goldtaler sprudeln. Man muss sie nur finden, notfalls mit Hilfe qualifizierter EU -Fundraiser.
    Davon abgesehen handelt es sich um ein altes Modell. Kampagnen dieser Art gab es auch im real existierenden Sozialismus, wenn beispielsweise junge Pioniere anlässlich eines Weltjugendtreffens in Sofia, Warschau oder Ost-Berlin Zeugnis von den Vorzügen des Sozialismus ablegten, der ihnen all das garantierte, was das Leben lebenswert machte: Arbeit, Freundschaft, Geborgenheit, Sicherheit und einen Trabant Kombi de luxe. Also alles bis auf die Möglichkeit, das Leben außerhalb der Grenzen des sozialistischen Paradieses kennenzulernen. Darin liegt der wesentliche Unterschied zur EU , die niemanden daran hindert, nach Neuseeland oder Russland auszuwandern, wie Gérard Depardieu, der sich noch vor der angekündigten Einführung der Reichensteuer in Frankreich aus dem Staub machte. Aber die Grundidee, wie sie damals getrommelt wurde und wie sie heute geflötet wird, ist die gleiche: Der Sozialismus ist das Beste, das unserer Generation passieren konnte. Und wir müssen alles tun, damit das Projekt blüht und gedeiht. Europa ist das Beste, das unserer Generation passieren konnte, und wir müssen alles tun, damit das Projekt blüht und gedeiht.
    Ein System, das sich selbst so feiert, schwächelt bereits. Und wer da Zweifel anmeldet, ob das System es wert ist, um jeden Preis gerettet, ja vertieft und vergrößert zu werden, der übt nicht legitime Kritik, der vergeht sich an einer Idee, die so erhaben, so majestätisch ist, dass man in ihrer Gegenwart eine devote Haltung annehmen und die Stimme senken muss. Selbst dann, wenn man präventiv versichert, die Idee als solche sei ja gut, nur die Ausführung lasse einiges zu wünschen übrig. »Europakritiker« ist zu einem Schimpfwort geworden, fast schon die Steigerung von »Rechtspopulist«. Wer sich der Europa-Euphorie verweigert, ist ein Dissident und gefährdet nicht nur die Zukunft, er will auch zurück in eine Vergangenheit, die vor allem aus Blut, Schweiß und Tränen bestand.
    Am 20. März, mitten in der Zypernkrise, hieß es bei Anne Will: »Sündenfall Zypern – Vertrauen weg bei Europas Sparern?« Unter den Gästen waren auch der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, Mitbegründer der »Alternative für Deutschland«, und der ehemalige bayerische Ministerpräsident und jetzige Anti-Bürokratie-Beauftragte der EU Edmund Stoiber. Die Sendung plätscherte, wie üblich, hin und her, bis Stoiber – fast am Ende – auf die Feststellung von Bernd Lucke, man hätte einige Länder nie in die EU und die Euro-Zone aufnehmen dürfen, die Contenance verlor:
    »Darf ich Ihnen mal ein politisches Argument dagegenhalten? Das, was Sie jetzt sagen, hätte dazu führen müssen, in den 90er-Jahren, eben einige Länder nicht aufzunehmen. Da waren wir sozusagen einer Meinung, wenn ich das jetzt mal zurückdenke. Nun, wir haben die europäische Währungsunion seit 1999. Und wenn wir sie heute, so wie Sie das sagen, auflösen, die ökonomischen Folgen will ich gar nicht betrachten, ich möchte die politischen Konsequenzen betrachten, wenn Sie das jetzt auflösen, würden Sie in Europa einen Spaltprozess bekommen, einen politischen Spaltprozess, den sie später in keiner Weise mehr eindämmen könnten, mit all den Konsequenzen. Ich rede nicht über die ökonomischen Folgen, ich rede über die politischen Folgen, Sie werden in Europa wieder einen Gegensatz bekommen zwischen den

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