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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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man als Erstes einen »Bericht über die soziale Lage und die Beschäftigungssituation in der EU « für das erste Quartal 2013. »Im Lichte der beispiellos hohen Arbeitslosigkeit«, heißt es da, »sind und bleiben die Herausforderungen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Soziales gewaltig.« Die Lage vieler Haushalte, vor allem junger Leute, habe sich »erheblich verschlechtert«. Der Beschäftigungstrend gehe seit Mitte 2011 »klar abwärts«, die Arbeitslosigkeit sei im Januar 2013 weiter gestiegen – »auf insgesamt 26,2 Millionen EU -weit, das sind 10,8 Prozent der aktiven Bevölkerung«. Und: »Das Problem betrifft mittlerweile fast ein Viertel der wirtschaftlich aktiven jungen Menschen.« Das heißt: Jeder vierte »junge Mensch« in der EU ist arbeitslos. Aber das ist nur der statistische Mittelwert. In Spanien ist es jeder zweite, in Griechenland sind es sogar zwei von drei.
    Und was tut die Europäische Kommission »im Lichte« dieser beispiellos hohen Arbeitslosigkeit? Sie verklagt Malta » wegen Kürzung der Altersbezüge von Personen, die von einem anderen Mitgliedsstaat eine öffentliche Beamtenpension beziehen «.
    Nein, ich habe mir das nicht ausgedacht, es steht tatsächlich da. »Die Europäische Kommission hat beschlossen, beim Gerichtshof der Europäischen Union Klage gegen Malta wegen der Praxis einzureichen, die maltesischen Altersbezüge zu kürzen, wenn die Empfängerinnen und Empfänger aufgrund einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedsstaats Altersbezüge von diesem Mitgliedsstaat erhalten.« Eine solche Ungerechtigkeit schreit doch zum Himmel! Maltesischen Beamten, die von einem anderen Staat der EU Altersbezüge bekommen, sollen die Renten gekürzt werden!
    Kurz zuvor hatte der Kommissar für »Beschäftigung, Soziales und Integration« zu einem anderen Problem Stellung bezogen, der so genannten »Armutsmigration«. Die, sagte er, gebe es nicht; sie sei »eine Wahrnehmung«, die »mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat«. Hätte László Andor gesagt, die Armutsmigration sei eine Wahrnehmung, die mit seiner Wirklichkeit nichts zu tun habe, wäre das sicher eine korrekte Feststellung gewesen. Aber es gibt Wirklichkeiten, die seiner Wahrnehmung nicht zugänglich sind. Zum Beispiel die Zustände in Duisburg-Bergheim, wo den Einwohnern benutzte Windeln um die Ohren fliegen, die von den Mietern eines Hochhauses auf die Straße entsorgt werden. Das so genannte »Roma-Hochhaus«, das von Zuwanderern aus Rumänien bewohnt wird, ist aber nur die Spitze des migrationspolitischen Eisbergs. »Mehr als 5000 osteuropäische Armutsflüchtlinge stellen Duisburg vor große soziale Probleme«, schrieb eine lokale Zeitung im September 2012, die Duisburger Integrationsbeauftragte sprach von einer »dramatischen« Situation, vor allem angesichts der eskalierenden Kriminalität; ein Sprecher des Landeskriminalamtes klagte über »Diebstähle an Geldautomaten«, die »zum Teil mit brachialer Gewalt« verübt würden, der Innenminister von Nordrhein-Westfalen warf der Bundesregierung vor, die Revierstädte im Stich zu lassen. »Der Bund muss dafür sorgen, dass sich die Lebensverhältnisse der Roma in Bulgarien und Rumänien verbessern. Dazu hätte die Bundesregierung längst über die EU Druck auf diese osteuropäischen Länder ausüben müssen. Die Folgen der Untätigkeit spüren jetzt die Menschen in den Städten an Rhein und Ruhr leidvoll.«
    Die Stellungnahme des Düsseldorfer Innenministers war mindestens ebenso originell wie die Behauptung des Brüsseler Kommissars, die »Armutswanderung« sei »eine Wahrnehmung«, die »mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat«. Nun finde ich es völlig in Ordnung, den »Bund« für alles Mögliche verantwortlich zu machen: sinkende Geburtenraten und steigende Benzinpreise, die kalten Winter und die heißen Sommer, die Not der kolumbianischen Tagelöhner und den Dauerstau am Kamener Kreuz, wo die BAB 1 auf die BAB 2 trifft. Aber zu sagen, die Bundesregierung müsse dafür sorgen, dass sich die Lebensverhältnisse der Roma in Bulgarien und Rumänien verbessern, damit diese nicht nach Deutschland kommen und den Deutschen »leidvolle« Erfahrungen erspart bleiben, zeugt doch von einer massiv gestörten Realitätswahrnehmung.
    Mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien zur EU traten auch Regelungen in Kraft, die der Reise- und Niederlassungsfreiheit zugutekamen. Zwar gehören Bulgarien und Rumänien noch nicht zum Schengen-Raum, zwar dürfen Bulgaren

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