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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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Abgeordneten zu. Dabei kam es zum folgenden Wortwechsel:
    Broder: »Herr Bisky! Ich grüße Sie! Ich heiße Henryk Broder, wir haben uns mal in Berlin getroffen.«
    Bisky: »Herr Broder, ja.«
    Broder: »Herr Bisky, wie ist es so in Europa?«
    Bisky: »Wunderbar.«
    Broder: »Wirklich? Muss man sich das antun, wenn man über 60 ist?«
    Bisky: »Nein, das muss man nicht.«
    Broder: »Warum machen Sie es?«
    Bisky: »Ich brauchte einen vernünftigen Abgang ohne Krach.«
    Broder: »Versteh ich Sie richtig? Das ist eine Beschäftigungstherapie, um nicht am Nichtstun zu verzweifeln?«
    Bisky: »Für mich persönlich ist es ein vernünftiger Abschied aus der Politik, der ohne Krach und ohne Blessuren stattfindet, für alle Beteiligten. Auch für mich. Und das ist dann in Ordnung.«
    Broder: »Und das ist den Aufwand wert?«
    Bisky: »Na ja, es ist ja nicht langweilig hier. Ein bisschen hab ich schon Interesse daran. Das ist die Ebene Parlament, die ich noch nicht kannte.«
    Ich gebe zu, dass ich Bisky seitdem ausgesprochen schätze. Ein ehrlicher Typ, der einem keinen Euro-Bären aufbindet. Kein Gerede von einem Gemeinschaftswerk, von europäischen Werten und Wurzeln, von einer Verantwortung für die Zukunft, von einem Vorbild für Lateinamerika und die Karibik, kein »Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot«-Geschwafel, kein »Global picture« und kein »Halver Hahn« mit Zuckerguss, nur ein entwaffnendes »Ich brauchte einen vernünftigen Abgang ohne Krach«. Bravo, Bisky! Und so pendelt er, ohne sich zu überarbeiten, für ein bescheidenes Salär von 8000 Euro brutto plus Spesen und Kostenvergütung, zwischen Brüssel, Straßburg und Schildau im Landkreis Nordsachsen, wo die Schildbürger herkommen. Der Ort ist nicht ohne. Hier soll im Jahre 1812 Napoleon Bonaparte einmal heimlich übernachtet haben, auf dem Rückzug von seinem gescheiterten Russlandfeldzug. Ein großer Europäer, der die Folgen der Osterweiterung nicht bedacht hat.

9. Ein bisschen Frieden
    Gleich nach seiner Rückkehr von Gesprächen mit dem deutschen Reichskanzler Adolf Hitler gab der britische Premier Neville Chamberlain am 30. September 1938 bekannt, er habe gute Nachrichten aus Deutschland mitgebracht: »Peace for our time!« Einen Tag später begann die Wehrmacht mit der Besetzung des Sudetenlandes gemäß dem Münchner Abkommen. Am 24. April 1982 gewann die damals 17-jährige Sängerin Nicole beim Eurovision Song Contest im englischen Harrogate den Wettbewerb mit 161 Punkten und damit 61 Punkten Vorsprung auf den Nächstplatzierten. Das Lied, mit dem sie den Preis nach Deutschland holte, hieß »Ein bisschen Frieden« und handelte von dem Wunsch eines Mädchens nach – Frieden.
    Dreißig Jahre und ein paar Monate später, am 10. Dezember 2012, wurde der Europäischen Union in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen. Stellvertretend für die ganze EU nahmen der Ratsvorsitzende Herman Van Rompuy, der Kommissionspräsident Manuel Barroso und der Parlamentspräsident Martin Schulz die Ehrung entgegen, wobei Van Rompuy und Barroso sich die Urkunde teilten, während Schulz die dazugehörige Medaille in Empfang nahm. Zur Begründung sagte der Vorsitzende des Komitees, der Norweger Torbjørn Jagland, die EU habe über sechs Jahrzehnte hinweg dazu beigetragen, Frieden und Aussöhnung, Demokratie und Menschenrechte zu fördern. »Es hat viele Konflikte, Meinungsverschiedenheiten und dramatische Ereignisse gegeben. Aber die Europäische Union war so etwas wie ein andauernder Friedenskongress.« Besonders hoch rechnete er der EU an, dass sie die Ost-West-Teilung »überwunden« habe.
    »Wir müssen zusammenstehen«, erklärte Jagland, »wir tragen eine kollektive Verantwortung. Europa muss vorwärtsgehen. Es muss das Erreichte hüten und das Geschaffene verbessern. Nur so können wir die von der Finanzkrise geschaffenen Probleme zum Wohle aller lösen.« Mit der Verleihung des Preises an die EU wollte das Komitee »daran erinnern, was die Europäische Union für den Frieden in Europa wirklich bedeutet«. Wobei der ehemalige norwegische Ministerpräsident, Außenminister, Parlamentspräsident und Vorsitzende der Arbeiterpartei mit keinem Wort darauf einging, dass die Bevölkerung seines Landes zweimal, 1972 und 1994, bei Volksabstimmungen den Beitritt zur EG beziehungsweise EU abgelehnt hatte, ohne dass danach ein Krieg zwischen den Nachkommen der Wikinger und dem Rest Europas ausgebrochen wäre.
    Dennoch waren alle Teilnehmer der Feier schwer beeindruckt, allen voran

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