Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
natürliches Interesse an der Erweiterung seiner Zuständigkeiten hat. So wie Armutsforscher davon leben, dass sie die Armut erforschen – und desto mehr Mittel zur Verfügung haben, je mehr Armut es gibt oder sich definieren lässt – und nicht etwa bei ihrer Abschaffung helfen, so lebt die EU davon, dass sie die Probleme zu lösen vorgibt, die sie selbst geschaffen hat oder als solche definiert. Oder Kuren für eingebildete Krankheiten verschreibt.
Im Herbst 2012 wurde eine »Richtlinie« bekannt, die Viviane Reding, die Justizkommissarin, ausgearbeitet hatte. Bis zum 1. Januar 2020 sollten 40 Prozent aller Aufsichtsräte weiblich sein. Der Plan kam mit einem Katalog von Sanktionen daher. Sollten die betroffenen Unternehmen die Vorgaben nicht einhalten, müssten sie mit Bußgeldern, dem Entzug staatlicher Subventionen und Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen rechnen.
Was sich nach einem Erdbeben um die Ecke anhörte, war nicht einmal ein leises Hufescharren in weiter Ferne. Zum einen sollte die Regelung nicht für Vorstände, sondern nur für Aufsichtsräte gelten, deren Funktion sich bisher im Wesentlichen darauf beschränkt, die Geschäftsberichte der Vorstände entgegenzunehmen und abzutauchen, wenn es kritisch oder turbulent wird.
Zum anderen waren börsennotierte Familienunternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern oder weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz von der Regelung ausgenommen. Damit war die Zahl der in Frage kommenden Firmen sehr überschaubar geworden. Dennoch wurde die mehr als symbolische Initiative der Justizkommissarin in den Medien als »Durchbruch« gefeiert, ein Ende der Männerherrschaft auf der Kommandobrücke der Gesellschaft, der Wirtschaft. Nicht einmal ein halbes Jahr später, Anfang März 2013, bekam die Ständige Vertretung der Bundesrepublik bei der EU die Order, die geplante Regelung zu stoppen. Die Kanzlerin persönlich hatte auf die Bremse getreten. Worüber demnächst in Brüssel verhandelt werden muss, ist die Art, wie die Frauenquote zu Grabe getragen werden soll: feierlich oder eher informell. Es dürfte auf eine Beisetzung im engsten Familienkreise hinauslaufen.
Übrig bleiben ein paar eher technische Fragen: Wie viele hochrangige und hochbezahlte Beamte waren mit der Ausarbeitung der Frauenquoten-Regelung beschäftigt? Wie viele Tage, Wochen, Monate haben sie nachgedacht, diskutiert, um die richtigen Worte gerungen, sich mit Experten beraten, Vorlagen entworfen, an ihnen geschliffen und gefeilt, alles im gnadenlos kalten Licht von Energiesparlampen? Wie viele freie Abende haben sie geopfert? Wie viele Frauen- und Kinderherzen gebrochen, weil sie Verabredungen und Versprechen nicht eingehalten haben? Wie viel CO 2 produziert? Welche Firma könnte sich eine solche Vergeudung an Ressourcen leisten?
Gilbert Keith Chesterton hatte recht: Seit die Menschen nicht mehr wissen, womit sie sich beschäftigen sollen, machen sie nicht Nichts, sie machen allen möglichen Unsinn.
12. Wir für Europa
Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie sind auf einer Party. Nichts Besonderes, Ihre Nachbarn feiern ihren zehnten Hochzeitstag. Oder das Abitur der ältesten Tochter. Oder den dritten Sonntag hintereinander ohne eine Talkshow mit Claudia Roth. Man steht ungezwungen herum, unterhält sich über dies und das, plaudert von Hü nach Hott und greift nach neuseeländischen Cherry-Tomaten aus dem Bioladen um die Ecke. Sie überlegen gerade, ob Sie der Hausfrau ein Kompliment machen sollen – »Verraten Sie mir, wo Sie diesen wunderbaren Zarafa Pinotage Rosé gekauft haben?« –, da hören Sie, wie sich hinter Ihnen drei Gäste darüber unterhalten, ob zwei mal zwei immer und zwangsläufig vier ergibt, ob es nicht mal auch fünf oder sogar sechs sein könnte, je nachdem, woher die eine oder die andere Zwei kommt und welche Algorithmen zur Anwendung kommen.
Sie denken einen Moment: »Die spielen eine Nummer aus dem neuen Programm von Cindy aus Marzahn nach«, dann drehen Sie sich langsam um und sehen: Es sind drei Lehrer der Schule, die auch Ihre zwei Kinder besuchen. Ein Mathematiker, ein Sozialkundelehrer und ein Deutschlehrer. Der Deutschlehrer sagt, zwei mal zwei sei immer vier, der Sozialkundelehrer sagt, es komme auf das Milieu an, und der Mathematiker sagt, die Sache mit den Primzahlen sei doch viel spannender. Sie verfolgen diese Unterhaltung aus einem gewissen Sicherheitsabstand, dann gehen Sie langsam in die andere Ecke des edel und geschmackvoll, aber nicht
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