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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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erleben! Oder einen Polen in Portugal als Teilnehmer bei einem Fado-Karaoke-Contest! Auch darüber würde der Euro- TV -Sender ausführlich und ausgewogen berichten.
    So hat es Schäuble vermutlich nicht gemeint. Und wir werden nie erfahren, wie er es gemeint hat, denn erstens hat den Vorschlag niemand aufgegriffen und zweitens hat Schäuble nur so vor hin geschwäbelt, wie er es öfter tut, wenn er Tatkraft simuliert. Wir sind noch einmal davongekommen.
    Es war freilich nicht der erste Heißluftballon, dem die Luft ausgegangen ist, noch bevor er abgehoben hat. Im Februar 2012 verabschiedete das Bundeskabinett ein »Strategiepapier« mit dem Titel »Europakommunikation 2012«. Angeregt hatte es Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der wie viele in seinem Gewerbe überzeugt ist, dass es keine schlechte Politik gibt, sondern dass sie nur nicht gut genug »kommuniziert« wird. So wie es bei vielen Fertigprodukten nicht auf den Inhalt, sondern auf die Verpackung ankommt. Auch in dem Strategiepapier ging es darum, wie man das angeschlagene Europa-Image wieder auf Hochglanz bringen könnte.
    »Wir dürfen nicht zulassen, dass die Fliehkräfte, die derzeit auf Europa wirken, die Union auseinanderfliegen lassen«, sagte Westerwelle in einem Interview mit der »Welt«, wobei er nicht mit Selbstlob sparte: »Es gibt zum Glück zahlreiche verantwortliche Politiker, die sich wie ich mit Kraft dem Geist der Renationalisierung entgegenstellen.«
    Was war passiert? Hatte Westerwelle seinen deutschen Pass zurückgegeben und sich zu einem Weltbürger erklärt? Drückte er der deutschen Fußballnationalmannschaft bei Auswärtsspielen nicht mehr die Daumen? Achtete er beim Einkauf darauf, dass nichts »Made in Germany« ins Körbchen kam? Oder hatte Bushido bei einer Gala zugunsten der Aktion Mensch alle drei Strophen des Deutschlandliedes gesungen? Wo war denn der »Geist der Renationalisierung« zu spüren, dem sich der deutsche Außenminister »mit Kraft« entgegenstellte?
    Ein halbes Jahr später, im August 2012, kündigte das Auswärtige Amt einen wichtigen Termin an. Fünf der sechs noch lebenden deutschen Außenminister – Genscher, Kinkel, Fischer, Steinmeier und Westerwelle – würden mit einem gemeinsamen Auftritt für den Slogan »Wir für Europa« werben. Nur Walter Scheel sei aus gesundheitlichen Gründen verhindert, an dem Event teilzunehmen.
    Dann musste Frank-Walter Steinmeier kurzfristig absagen, nachdem sein Vater gestorben war. Blieben also noch drei ehemalige und ein amtierender Außenminister. Doch plötzlich und überraschend sprang auch Joschka Fischer ab. Er habe »mit allergrößter Verwunderung« zur Kenntnis nehmen müssen, dass die »ursprünglich begrüßenswerte Initiative von Stiftungen vom Ministerbüro des Auswärtigen Amtes gekapert« worden sei. Anfangs sei es »um eine Kampagne für Europa gegangen, jetzt soll es eine Kampagne für Westerwelle werden – dafür mangelt es mir an Glaubwürdigkeit«. Womit Fischer auf die ihm eigene zurückhaltende Art andeuten wollte, dass er nicht zu den Freunden und Förderern von Guido Westerwelle gehört.
    Was würde nun aus der Botschaft werden, die bei dem Termin der Außenminister verkündet werden sollte? »Europa ist mehr als Binnenmarkt und eine Währung. Europa ist eine Kulturgemeinschaft, ein Lebensmodell, das in der Welt erkennbar sein und sich behaupten muss.« Da kann man Westerwelle wirklich nicht widersprechen. Europa ist mehr als ein Binnenmarkt und eine Währung, es ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem große Egos mit noch größeren Egos um die Wette Phrasen dreschen. Kulturgemeinschaft, Lebensmodell … Die »Renationalisierung«, der sich Westerwelle auf der nationalen Ebene mit Kraft entgegenstellt, findet inzwischen auf der Europa-Ebene statt, denn weder Dummheit noch Nationalismus machen an Grenzen halt. Noch ist niemand auf die Idee gekommen, die Parole »Europa, Europa über alles« über dem Europaparlament aufzuziehen, aber von der Kulturgemeinschaft und dem Lebensmodell, die sich in der Welt behaupten müssen, ist es nicht mehr weit zu einer Notgemeinschaft, die um jeden Preis zusammengehalten werden muss, damit die »Fliehkräfte« nicht den Sieg davontragen.
    Man kann es auch so sagen: Die vielen nationalen Teufelchen sollen durch einen supranationalen Beelzebub ersetzt werden. Der ehemalige Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, spricht von der »Errichtung eines Euro-Schattenstaats hinter dem Rücken der Bürger,

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