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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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Mischung aus Größenwahn und Impotenz. Badewannenkapitäne stellen die Schlacht von Trafalgar nach. Seifenkistenchampions melden sich zu Formel-1-Rennen an. Pyromanen spielen mit Streichhölzern. Während die Arbeitslosigkeit in den Ländern der Euro-Zone steigt und steigt – Anfang 2013 lag sie bei 12 Prozent –, können sich die Regierungschefs und Finanzminister der EU nicht auf ein Budget für die Zeit von 2014 bis 2020 einigen, weil zu viele Partikularinteressen berücksichtigt werden müssen. Dabei läuft die europäische Umverteilungsmaschine auf Hochtouren, sie nimmt mit der einen Hand ein und gibt mit der anderen Hand aus: 373 Milliarden Euro für die Landwirtschaft, 325 Milliarden Euro zur Förderung der Umwelt und für die Integration der transeuropäischen Verkehrsnetze, 126 Milliarden für die Förderung des Wettbewerbs und des Wachstums und 62 Milliarden für die Kosten der eigenen Verwaltung. Die Zahlen sind dermaßen atemberaubend, dass sogar der Haushaltskommissar die Übersicht verliert. Ende März stellte er fest, im EU -Haushalt für das laufende Jahr würde ein Loch von 11 Milliarden Euro klaffen, offene Rechnungen aus 2012 und 2013 könnten nicht beglichen werden. Angesichts solcher Betriebsunfälle sind alle mittel- und langfristigen Planungen nichts als unverbindliche Absichtserklärungen mit kurzem Verfallsdatum.
    Ich will nicht behaupten, das ganze Geld würde sinnlos verpulvert. Es ist sicher eine gute Investition für die Zukunft, im Rahmen des Erasmus-Programms jungen Menschen einen Studienaufenthalt im Ausland zu ermöglichen: Polen in Frankreich, Franzosen in Deutschland, Deutschen in Italien und Italienern in Finnland. Aber viel mehr als das Erasmus-Programm fällt einem nicht ein, wenn man nach positiven Beispielen für den Geldsegen sucht, den die EU ausschüttet.
    Die Gegenbeispiele sind weitaus zahlreicher. Allein im Jahre 2011 sind nach Angaben des Europäischen Rechnungshofes fünf Milliarden Euro »fehlerhaft« ausgegeben worden – mindestens. In Spanien und Italien bekamen Landwirte Prämien für Felder, die sie als »Dauergrünland« deklariert hatten. Bei näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass es Waldparzellen waren. Aus dem Sozialfonds flossen Gelder für Fortbildungen, deren fiktive Teilnehmer mit ganz anderen Tätigkeiten beschäftigt waren. Beratungsfirmen setzten ihre Personalkosten viel zu hoch an, Universitäten wandten dieselbe Methode bei EU -finanzierten Forschungsprojekten an; allerdings, so der Präsident des Rechnungshofes, könne man nicht generell von Betrugsfällen sprechen. Vielmehr gehe es »um Nicht-Beachtung von Vorschriften«, ein kleiner, aber feiner Unterschied zwischen strafbarem Verhalten und jener Form der Gewinnmaximierung, für die der Volksmund den Satz »Gelegenheit macht Diebe« geprägt hat.
    Denn das System lädt geradezu zum Missbrauch ein. Brüssel ist weit, und bevor die Kontrolleure kommen, ist schnell ein Hafen in Sizilien gebaut, der nicht genutzt werden kann, weil die »Anbindung« an das Hinterland fehlt. Oder eine 240 Meter lange Skipiste auf der Insel Bornholm, die 30 Meter Höhendifferenz überwindet. Als die Geschichte in Dänemark bereits für große Heiterkeit sorgte, legte der zuständige EU -Kommissar noch mal nach und förderte den Bau eines Skilifts. Ich wundere mich, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, eine Komödie über das Subventionssystem der EU zu schreiben, nach dem Vorbild der »Producer« von Mel Brooks. Wahrscheinlich gäbe es auch dafür eine Förderung. Und ich wüsste einen Plot: Der Verband der Weihnachtssternproduzenten gibt bei einer Agentur eine Werbekampagne in Auftrag, um den Absatz von Weihnachtssternen europaweit anzukurbeln. Die Aktion soll »Stars for Europe« heißen. Die Agentur ihrerseits stellt bei der EU einen Antrag auf Absatzförderung – und bekommt über eine Million Euro zugeteilt. Und so werden 40 Journalisten aus acht Ländern nach London eingeladen, um bei einem vorweihnachtlichen Zusammensein im Institute of Contemporary Art über den dekorativen Wert von Weihnachtssternen aufgeklärt zu werden.
    Sie denken, ich habe mir die Geschichte ausgedacht, nachdem ich ein großes Stück Marmorkuchen in einer Schale voller Bailey’s Irish Cream ertränkt habe? Ich wünschte, ich wäre dazu in der Lage. Die Geschichte ist genau so passiert. Auch für die Verfilmung hätte ich ein paar Vorschläge: Armin Mueller-Stahl als der zuständige EU -Kommissar, Max von Thun als der

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