Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
Präsident des Verbandes europäischer Weihnachtssternproduzenten, Natalia Wörner als dessen Frau und Nina Hoss als Geschäftsführerin des Institute of Contemporary Art. Notabene: Das sind keine Fälle aus der Abteilung »Nicht-Beachtung von Vorschriften«, es ist die ganz normale Brüsseler Routine. Und es sind Peanuts. Eine Million hier, ein paar Hunderttausend dort. Unterm Strich nur ein paar Prozent des EU -Haushalts. Wenn es im Laufe von sieben Jahren nur fünf Prozent sein sollten, dann wären es immerhin 50 Milliarden Euro. So viel Umsatz macht die Deutsche Post AG mit über 400000 Beschäftigten im Jahr.
Aber es wird nicht nur Geld vergeudet, es werden auch »human resources«, wertvolle menschliche Arbeitskraft und Arbeitszeit, gebunden. Vermutlich macht es keinen großen Unterschied, ob ein Projekt mit 100000 Euro oder mit zehn Millionen Euro gefördert wird, der bürokratische Aufwand ist der gleiche. Oder funktioniert es etwa andersrum? Könnte es sein, dass die Bürokratie nicht ausgelastet ist? Dass sie ständig auf der Suche nach irgendetwas ist, das noch nicht reglementiert wurde, wie eine Hausfrau, die auch unter dem Teppichboden staubsaugen möchte? Einiges spricht dafür. Das EU -Parlament hat einem Antrag des Umweltausschusses zugestimmt, ab 2019 neue Lärmgrenzwerte für Autos einzuführen. So weit, so gut. Allerdings: Für Sportwagen soll der Grenzwert um ein Dezibel höher liegen. Denn was hat man schon von einem Sportwagen, mit dem man nicht einmal einen Kasten Bier transportieren kann, wenn er nicht dröhnt und röhrt? Das ist sehr verbraucherfreundlich gedacht.
Noch verbraucherfreundlicher ist eine Regelung, die im Dezember 2012 in Kraft getreten ist. Seitdem dürfen Lebensmittelhersteller nur noch mit »gesundheitsbezogenen Angaben« werben, wenn diese ausdrücklich von der EU -Kommission zugelassen worden sind. Erlaubt sind genau 222 »gesundheitsbezogene Angaben« über Vitamine, Mineralstoffe und andere Zusätze in Lebensmitteln. Zum Beispiel: Für »zuckerfreien« Kaugummi darf mit der Angabe geworben werden: »Zuckerfreier Kaugummi trägt zur Erhaltung der Zahnmineralisierung bei.« Aber nur mit dem Zusatz, »dass sich die positive Wirkung bei mindestens 20-minütigem Kauen nach dem Essen oder Trinken einstellt«. Seitdem bekommt man beim Kauf von zehn Packungen zuckerfreien Kaugummis eine Stoppuhr dazu.
Eine weitere Regelung soll noch in diesem Jahr irreführende Werbung für Kosmetika aus der Öffentlichkeit verbannen. Eine Hautcreme mit dem Hinweis »48 Stunden Hydration« wäre danach unzulässig, ebenso wie »digital verdichtete Wimpern« in einer Werbung für Wimperntusche. Dabei weiß doch schon der Volksmund, dass »Werbung lügt« und nur »Erfahrung klug macht«.
Bei solcher Liebe zum Detail kann es schon einmal vorkommen, dass etwas Größeres übersehen wird. So haben verurteilte und zum Teil einsitzende Mafiosi jahrelang Agrarbeihilfen aus einem EU -Förderprogramm erhalten. Alles in allem etwa zwei Millionen Euro, also nicht gerade viel, weswegen sich die Vertretung der EU in Italien für nicht zuständig erklärte und darauf hinwies, die Auszahlung der Agrarbeihilfen sei Sache der Mitgliedsstaaten.
Wir sehen, die EU tritt in mindestens drei Rollen gleichzeitig auf. Als Umverteilungsmaschine, die bei der vermeintlichen Angleichung der Lebensbedingungen in Europa das Tempo vorgibt; als Wohlfahrtsausschuss, der den Bürgern sagt, was sie tun und was sie lassen sollen, und als ein metaphysisches Konstrukt, das einem höheren, nicht genau definierten Zweck dient, als »eine Kulturgemeinschaft, ein Lebensmodell«, um noch einmal Guido Westerwelle zu zitieren. Für eine Kulturgemeinschaft reicht es aber nicht, dass man dänischen Käse in Italien, italienische Mortadella in Polen, polnischen Wodka in Frankreich, französischen Wein in Holland und holländische Lebkuchen in der Slowakei kaufen kann, alles korrekt mit den gleichen »gesundheitsbezogenen Angaben« versehen. Deswegen muss etwas herbeihalluziniert werden, das so abstrakt, so umfassend nichtssagend ist wie das Generaladjektiv »geil«, das seine ursprüngliche Bedeutung längst verloren hat.
Der bereits erwähnte Journalist und Verleger Jakob Augstein hat auf die Frage, was er von Thilo Sarrazin und Bernd Lucke, dem Mitbegründer der »Alternative für Deutschland«, halte, Folgendes gesagt:
»Lucke und Sarrazin, das sind Zahlenpopulisten, das sind Leute, die tun so, als wären Zahlen Wirklichkeit, und in
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