Die letzten Tage von Hongkong
Fensterscheiben, Bougainvillea ergossen sich über Balkongeländer aus Gußeisen, Hibiskusblüten wuchsen neben anderen Orchideen in Blumenkästen, und Frangipani tanzten im Sonnenlicht. Auf einem Dreifuß am Fenster reckte sich ein nautisches Messingfernrohr in den Himmel.
Während Cuthbert verschwand, um einen gewissen »Hill« zu suchen, betrachtete Chan die anderen Zeugnisse eines exzentrischen Geschmacks: türkische Kelims, afghanische und persische Brücken lagen auf dem Parkett verstreut, und auf den fünf Fächern einer hochglanzpolierten Rosenholzvitrine fand sich die schönste Sammlung von Opiumpfeifen, die Chan jemals außerhalb eines Museums gesehen hatte. An der einen Wand hingen alte chinesische Brücken und Gobelins, gerahmt und hinter Glas, als handle es sich um Gemälde. An der gegenüberliegenden Wand nahmen ein langläufiges Gewehr aus dem neunzehnten Jahrhundert mit abgewetzter Jagdtasche und ein kleines Messingteleskop den Ehrenplatz ein. Cuthbert kehrte mit Freizeithemd und Hose zurück und deutete auf das Gewehr.
»Das ist eine Kansu-Satteldecke mit floralem Medaillon und Wolkenband. 240000 Knoten. Ich stelle mir immer vor, daß sie mal auf dem Rücken eines Banditenpferdes irgendwo auf der Seidenstraße zwischen Samarkand und Peking gewesen ist.«
Dann führte er Chan in einen Anbau hinter dem Wohnzimmer, in dem ein kleiner italienischer Marmortisch fürs Mittagessen gedeckt war. Um den Tisch herum standen riesige Terrakottatöpfe mit kleinen Gummi-, Kaffee-, Kakao-, Teak- und Mahagonibäumen. Wahrscheinlich, so dachte Chan, als er sich setzte, war die hohe Luftfeuchtigkeit in dem Raum beabsichtigt. Es war wie ein Picknick mit dem Vizekönig von Indien, irgendwo zwischen Maharbellapuram und Kaschmir.
Hill trat in den Raum. Anders als Emily verlangte der Engländer von seinen Bediensteten nicht, daß sie Uniform trugen. Der Filipino hatte eine Jeans an und dazu ein Freizeithemd mit kurzen Ärmeln.
Eine der wenigen Weisheiten, die Chan von seiner Mutter gelernt hatte, war die Tatsache, daß man einen gweilo danach beurteilen konnte, wie seine Bediensteten sich verhielten. Hill brachte lächelnd Salat und Brot und fragte Chan, ob er einen Drink wolle. Er wirkte weder eingeschüchtert noch nervös und machte auch nicht den Eindruck, als fühle er sich minderwertig.
»Er ist schon seit Jahren bei mir«, sagte Cuthbert, als Hill außer Hörweite war. »Wirklich ein feiner Kerl. Ein Halbchinese aus Luzon, das ist irgendwo im Norden. Er wohnt zusammen mit seiner Frau am anderen Ende der Straße; sie ist Hausmädchen bei einer chinesischen Familie. Das perfekte Arrangement – Hill steht mir den ganzen Tag zur Verfügung, und in der Nacht habe ich meine Ruhe.« Er lächelte.
Chan lernte einen völlig anderen Cuthbert kennen. Von dem Augenblick an, in dem sie die Wohnung betreten hatten, hatte sich das Verhalten des Diplomaten verändert. Diese ungewohnte Freundlichkeit, seine Aufmerksamkeit und seine altmodische Gastfreundlichkeit beruhigten sogar Chan. Er nahm Cuthberts Angebot, mit ihm zusammen einen Gin-Tonic zu trinken, an.
»Emily ist ein kluges Mädchen«, sagte Cuthbert plötzlich, als beantworte er eine Frage. Dann strich er Butter auf ein Brötchen. »Aber wenn man sich mit ihr über etwas anderes als Geld unterhalten möchte, ist das, als versuche man, einem Orang Utan das Sitarspielen beizubringen. Sie glaubt felsenfest daran, daß sie Chinesin ist. Ich sage ihr die ganze Zeit: ›Meine Liebe, du bist keine Chinesin, du bist aus Hongkong.‹ Und das stimmt auch. Sie ist typisch für diese Stadt. Wissen Sie, daß sie schon mit sechsundzwanzig vier Millionen amerikanische Dollar verdient hat? Übrigens mit einer einzigen Transaktion.«
Cuthbert nippte an seinem Gin-Tonic und starrte den Stamm seines Gummibaums an. »Verdammt – ein Pilz. Ich weiß nicht, wie wir den in den Griff bekommen, Hill – in Malaysia haben die Pflanzen nie so was. Das weiß ich, weil ich mit ein paar Pflanzern gesprochen habe. Wir müssen was falsch machen.«
Chan sah zu, wie Hill lächelnd das Zimmer durchquerte. Mit einem freundlichen »Ja, Sir«, stellte er wie ein Putzer dem Offizier eine kleine heiße Platte aus Ton, die mit glühenden Holzkohlen gefüllt war, auf den Tisch und verließ den Raum wieder.
Chan fragte: »Was für eine Transaktion?«
Cuthbert erhob sich, beugte sich einen Augenblick lang über einen anderen Baum und setzte sich wieder. »Da muß ich ein bißchen ausholen. Emilys Familie,
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