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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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weil der K2 ihn einen Zwerg nannte.
    Eine Beobachtung, die die Chinesen über die Engländer machten, war jedoch neutral und hatte auch in der Mythologie des Kolonialreichs Bestand, weil sie stimmte. Während die Chinesen nur Informationen sammelten, die sie zu Handelszwecken oder bei Rachefeldzügen nutzen konnten, häuften die Engländer ihre Akten um ihrer selbst willen an.
    Während seines Aufstiegs innerhalb der Royal Hong Kong Police Force war Chan sich dieser Schrulle immer stärker bewußt geworden. Oft erschien es ihm, als wären neunzig Prozent dessen, was sie wußten, nicht einmal höheren Polizeibeamten zugänglich, auch wenn irgend jemand irgendwo Informationen besaß und sie im Bedarfsfall weitergab.
    Chan hatte selbst mit dieser Informationsvergabe hinter vorgehaltener Hand Bekanntschaft gemacht, wenn er wichtigere Fälle zu lösen hatte. Ihm war aufgefallen, daß Hinweise und Hintergrundwissen in fast schon obszönem Übermaß aus unbekannten Quellen zur Verfügung gestellt wurden, wenn das fragliche Verbrechen die Regierung besonders in Verlegenheit brachte – zum Beispiel die spektakuläre Entführung und Ermordung eines berühmten Milliardärs durch eine kommunistische Splittergruppierung. Nachforschungen jedoch, die nicht das Interesse der Öffentlichkeit erweckten oder keine politische Dimension hatten, schleppten sich ohne solche Hilfestellungen von oben dahin. Man konnte sich kaum der Vermutung erwehren, daß eine kleine Gruppe von Leuten an der Spitze der Regierung Zugang zu einer riesigen Datenbank mit Informationen über die ungefähr sechs Millionen offiziellen Einwohner Hongkongs hatte und dieses Wissen einer logischen, aber restriktiven Politik folgend nutzte. Und wer wäre ein wahrscheinlicherer Kandidat für die Leitung einer solchen Gruppe gewesen als der Politische Berater? Und warum hatte Chan sich bis jetzt noch nicht an ihn gewandt, um von ihm einige geheime Informationen zu erhalten? Chan wußte, warum.
    Die irrationale Angst vor den Autoritäten war nicht nur eine konfuzianische Tugend, sondern die Basis des ganzen Systems, das das Bewußtsein der Han-Dynastie seit dem fünften Jahrhundert vor Christus geprägt hatte. Es gab nur ein administratives Hilfsmittel, das das kaiserliche System mit seinen neun Mandaringraden, seinen achtzehn Stufen ziviler und militärischer Beamten, seinen hierarchischen Regeln für Prinzen, Ehefrauen, Konkubinen und Piraten zusammenhalten konnte – die Paranoia. Sie war der Haken an der Psychologie des Chinesen.
    Chan erinnerte sich noch an das Verfahren gegen einen nur etwa einssechzig großen, spindeldürren Chinesen, der dreißig Frauen vergewaltigt hatte. Seine Methode war einfach – er suchte sich die Namen der Hausfrauen aus dem Telefonbuch heraus: »Guten Morgen, Mrs. Wong, ich bin vom Gesundheitsamt, und ich habe Grund zu der Annahme, daß Sie Probleme in Ihrer Ehe haben. Ich würde Sie gerne besuchen, um eine medizinische Untersuchung vorzunehmen …« Wenn er dann bei den Frauen in der Wohnung war, schloß er immer die Vorhänge und schaltete das Licht aus. Vergewaltigung ohne Gewalt. Nur dreißig von mehr als hundert Opfern waren bereit, gegen ihn auszusagen. Mehr als die Hälfte der Frauen wußte überhaupt nicht, daß sie vergewaltigt worden waren. Anders ausgedrückt: Was machte das schon für einen Unterschied? Schließlich waren die Chinesen fünftausend Jahre lang von den Autoritäten vergewaltigt worden.
    Deswegen hab’ ich so lange gebraucht, um auf diese Idee zu kommen, murmelte Chan, als er in das Büro des Commissioner geführt wurde.
    Chan lächelte, als er seine Bitte ausgesprochen hatte, und fügte hinzu: »Konfuzius hat mir den Mut genommen.«
    Tsui schüttelte den Kopf. »Nun, vielleicht hat er Sie ein bißchen langsamer gemacht. Aber jedenfalls sind Sie jetzt hier.«
    »In dem Fax, das Sie mir nach dem Treffen mit Cuthbert und den anderen im Wagen gezeigt haben«, sagte Chan, »hieß es, ich hätte Zugang zu allen Informationen.«
    Der Commissioner lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah den Chief Inspector an. »Erzählen Sie mir lieber, was Sie wissen – damit wir wissen, daß wir über die gleichen Dinge sprechen.«
    »Die Briten lieben Informationen. In Hongkong wird kaum ein Schwein geschlachtet, ohne daß die Briten etwas davon erfahren.«
    »Und Sie glauben, daß es Ihnen bei Ihren Ermittlungen weiterhilft, wenn Sie über die Sterblichkeitsrate bei Schweinen Bescheid wissen?«
    Chan hatte es seinen

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