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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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die Pings, unterstützen uns seit Jahrzehnten. Ihr Vater ist neunundvierzig aus Schanghai geflohen, hat seine Verbindungen dorthin allerdings nicht abgebrochen. In den sechziger Jahren hatten wir keinerlei offizielle Kontakte zu Peking. Um Geschäfte zu machen, mußten wir Vermittler einsetzen. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn die Chinesen haben dieses Vermittlersystem erfunden. Emily ist ein Einzelkind. Ihr Vater hat sie so erzogen, daß sie sein Geschäft von ihm übernehmen konnte. Als ich vor zwölf Jahren hierherkam, habe ich ihr ihren ersten Auftrag gegeben: Xian. Ich wußte, daß ich mir eine Basis mit ihm aufbauen mußte, weil andernfalls der Übergabeprozeß gefährdet wäre, und Emily erschien mir damals als richtige Wahl. Sie konnte Schanghai-Chinesisch, die Muttersprache von Xian, hatte gute Verbindungen nach Südchina und war bereits hochgeachtet in Hongkong.« Cuthbert nippte an seinem Gin-Tonic. »Frauen. Egal, ob’s ums Geschäft oder ums Bett geht- es gibt immer Komplikationen.«
    Die Gedanken des Engländers, das wurde Chan nun klar, rasten genauso gefährlich schnell dahin wie sein Jaguar. Der Diplomat verließ den Raum, während Chan über das nachdachte, was Cuthbert gesagt hatte. Blinzelnd wie der Verkehrspolizist, den der Politische Berater erst vor kurzem terrorisiert hatte, mußte Chan zugeben, daß Cuthbert seine Fragen tatsächlich beantwortete, wenn auch auf seine Art. Offenbar machte Emily einen großen Teil dieser Antwort aus.
    Chan stand auf, um sich nach einer Toilette umzusehen. Im Flur erhaschte er einen Blick auf die Bibliothek Cuthberts. Das waren nicht nur ein paar Dutzend Taschenbücher, die in einem Regal vergammelten, ja nicht einmal die gepflegten gebundenen Ausgaben eines kultivierteren Menschen, sondern eine richtige Bibliothek mit Regalen vom Boden bis zur Decke, einer kleinen Eichentrittleiter und einem Eichenstehpult vor dem Fenster für einen Mann, der gern im Stehen las. Neben dem Pult befand sich auf einem kleinen Podest ein Aschenbecher. Unter einem anderen Fenster wartete ein zigarrenfarbener Chesterfield-Sessel darauf, daß ein Leser darin Platz nahm.
    Cuthbert war wieder da, als Chan an den Tisch zurückkehrte, und begann weiterzusprechen, bevor Chan richtig saß. Zur gleichen Zeit erschien Hill mit einem Lamm-Bohnengericht, das er auf die heiße Platte stellte.
    »Ihr Problem war die Gier. Sie hat eine Gelegenheit gewittert. Sie hat die Pacht eines chinesischen Hauses im Central District mit ihrem eigenen Geld übernommen, aber sie hatte keine Mittel für die Sanierung. Die Banken wollten einer Sechsundzwanzigjährigen keine zwanzig Millionen für einen Wolkenkratzer geben, und ihr Vater ließ sich als Chinese auch nicht erweichen, es sei denn, er hätte die Mehrheit der Aktien in ihrer Gesellschaft übernehmen können. Aber sie ist wirklich ein mutiges Mädchen, das muß ich ihr lassen. Sie hatte das ausgesprochen unchinesische Bedürfnis, unabhängig von Daddy zu sein – und Xian hat ihr nur zu gern geholfen. Er hat ihr das Geld geliehen, sie hat ihren Bürokomplex errichtet und vier Millionen Profit gemacht – tja, und dann hat sie plötzlich gemerkt, daß Xian sie in der Gewalt hatte. Der alte Teufel hatte den perfekten Weg gefunden, seine Gelder aus dubiosen Geschäften zu waschen: Über Grundstücke in Hongkong. Und Emily war die perfekte Fassade. Xian ist kein Mensch, dem man eine Bitte abschlagen kann, jedenfalls nicht, wenn man in diesem Teil der Welt ruhig leben möchte. Als er das nächste Mal ein paar Millionen unterbringen wollte, hat er Emily benutzt. Er hat ihr den Status und den Reichtum gegeben, den sie sich so sehr gewünscht hat. Aber dafür hat sie ihre Freiheit geopfert. Ich weiß nicht, wie oft ich sie daran hindern mußte, Selbstmord zu begehen. Ein bißchen Lamm?«
    »Emily und deprimiert?«
    Cuthbert servierte das Lamm mit einem großen Holzlöffel.
    »Mm. Kaum zu glauben, was? Aber wissen Sie, Xian ist so etwas wie eine lebenslängliche Strafe. Selbst nach seinem Tod wird sie nie frei sein – hinter ihm steht eine ganze Armee. So einfach ist das nicht zu verkraften, wenn man ein unabhängiger Mensch sein will. Natürlich konnte ich sie von da an nicht mehr für heikle Dinge einsetzen. Allerdings gehört es zu meinem Job, mir mit Xian alles offenzuhalten. Es war auch egal, denn Xian und ich haben so eine Art Modus vivendi gefunden. Wir sprechen fast jeden Tag miteinander. Es gibt eine Menge zu tun, wenn man die Verantwortung für

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