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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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chinesischen Genen zu verdanken, daß sich von Zeit zu Zeit seine Sturheit durchsetzte. »Alle Informationen. Das stand auf dem Fax.«
    Immer noch erstaunt über seine eigene Kühnheit und verlegen über seine vorherige Schüchternheit, zündete Chan sich eine Zigarette an, ohne um Erlaubnis zu bitten.
    Tsui kratzte sich am Kopf. »Allerdings war es nicht vorgesehen, daß ich es Ihnen tatsächlich zeige. Ich meine das Fax.« Er dachte einen Augenblick nach, dann griff er zum Telefonhörer. »Verbinden Sie mich bitte mit dem Politischen Berater.« Als er das Treffen mit Cuthbert vereinbart hatte, sah Tsui Chan an und lächelte.
     
    An dem langen Tisch im Vorraum zu Cuthberts Büro wartete Chan geduldig darauf, daß der Politische Berater alles abstritt, was er gerade gesagt hatte, ja, er war sogar bereit, sich über die Eleganz der Diplomatenlügen zu freuen. Auf Anweisung von Tsui hatte Chan das streng geheime Fax, das der Commissioner ihm gezeigt hatte, nicht erwähnt.
    Cuthbert tippte mit den Fingern auf den Tisch und wandte sich Tsui zu, dem einzigen anderen Anwesenden im Raum.
    »Was sagen Sie, Ronny?«
    »Nichts«, antwortete Tsui.
    Cuthbert schürzte die Lippen. »Das habe ich mir schon gedacht.« Er tat so, als denke er einen Augenblick angestrengt nach, dann wandte er sich an Chan. »Nun, ich weiß, wann ich mich geschlagen geben muß. Ich muß zugeben, daß es Ihnen gelungen ist, mich in die Ecke zu treiben.« Dann tippte er sich zwinkernd an die Nase. »Ihnen ist natürlich klar, daß alles, was Sie uns gerade gesagt haben, diese phantastischen Überlegungen über ein Überwachungssystem à la Großer Bruder, Unsinn sind?«
    »Natürlich«, sagte Chan überrascht. Er mochte das britische Prinzip der Großzügigkeit gegenüber dem Besiegten.
    »Es ist fast Mittag«, sagte Cuthbert. »Erlauben Sie?« Er sah Tsui mit gerunzelter Stirn an. »Ronny …«
    »Ich fürchte, ich habe eine Verabredung zum Mittagessen«, sagte Tsui, der Cuthberts Geste richtig verstanden hatte. »Ich werde Sie beide jetzt allein lassen.« An der Tür verzog der Commissioner das Gesicht, als habe er soeben widerwillig ein Lamm den Fängen des Tigers überlassen.
    Chan erstaunte es nicht, daß Cuthbert ihn zum Parkplatz des Regierungsgebäudes führte. Eigentlich hatte er erwartet, daß der Politische Berater einen der weißen Toyotas mit Chauffeur heranwinken würde, die nur den obersten Regierungsbeamten zustanden. Aber der Engländer führte ihn zu einem grünen Vintage-Jaguar XJ6 mit abgewetzten Ledersitzen und Schiebedach. Nachdem Cuthbert Chan die Beifahrertür aufgehalten hatte, schlüpfte er selbst mit sichtbarer Vorfreude hinters Steuer. Als sie mit quietschenden Reifen aus dem Parkplatz fuhren, erinnerte Chan sich, was es mit dem Wagen und seinem Ruf auf sich hatte.
    Die Verkehrspolizisten erzählten sich die wildesten Geschichten über den grünen Jaguar, denn unter dem Schutz seiner diplomatischen Immunität fuhr Cuthbert wie ein Verrückter. Als sie an einem Streifenpolizisten auf dem Motorrad vorbeikamen, sah Chan, daß sich dessen Gesichtsausdruck wie eine Ampel veränderte: Er wurde zuerst rot vor Zorn, dann gelb aus Verwirrung und schließlich grün, weil er sich einer höheren Macht beugen mußte. Über Diplomaten hieß es oft, daß sie die rigorose Unterdrückung ihrer Persönlichkeit durch ihren Beruf im Privatleben kompensierten. Chan glaubte das gern; er überprüfte seinen Sicherheitsgurt. Sie fuhren gerade mit quietschenden Reifen um eine Kurve auf dem Weg zum Peak herum, als Cuthbert den CD-Player einschaltete. Männerstimmen sangen ohne Instrumentenbegleitung auf Lateinisch.
    Fast an der Spitze des Berges, über der Stelle, an der Chan und Moira den Abend verbracht hatten, befanden sich exklusive Wohnungen in niedrigen, geräumigen Häusern, von denen aus die Großen und die Reichen die spektakuläre Aussicht genießen konnten. Ungefähr die Hälfte dieser Häuser gehörte der Regierung. Cuthbert hielt den Wagen auf dem Parkplatz von Beauchamp Villas an und führte Chan zu einem Lift, der bereits mit offenen Türen wartete. Auf dem Messingschild in seinem Innern waren die Stockwerke angegeben; neben der Nummer Fünf stand »Penthouse«. Cuthbert drückte auf die Fünf.
    Das Penthouse des Diplomaten war das genaue Gegenteil von Chans Wohnung: licht, luftig und geräumig. Von dem riesigen Wohnzimmer mit den Erkerfenstern konnte man ganz Hongkong sehen. Orchideen drückten sich von innen gegen die

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