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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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das glaubst.«
    Es war möglich. Selbst heute noch war laogai nicht viel mehr als ein Gerücht. Die Presse berichtete nur selten von den Sklaven in den Gulags jenseits der Grenze. In Mongkok flüsterten die Leute nur darüber. Chan dachte an einen alten Mann mit schütterem Bart, John-Lennon-T-Shirt und eindringlichem Blick.
    Nach der zweiten Pfeife überkam Chan ein tiefes Gefühl der Entspannung. Nerven, die sich ein Leben lang verkrampft hatten, streckten sich wie Katzen und fingen an zu schnurren.
    Emily legte die Pfeife vorsichtig wieder auf den Tisch zurück.
    »Vor Milton war ich eine durchschnittlich romantische Sechsundzwanzigjährige. Vor ihm hatte ich nur einen anderen Liebhaber gehabt. Nach ihm waren es Hunderte, aber keiner von ihnen konnte ihm das Wasser reichen. Es war ein bizarres Dreieck. Ich habe ihn faszinierend gefunden. Xian brauchte mich. Milton war auf Xian fixiert. Anfangs habe ich das alles nicht verstanden. Milton ist der kultivierteste Mensch, den ich je kennengelernt habe. Sein Mandarin ist besser als meines, sein Kantonesisch ist perfekt, und sein Latein und sein Griechisch sind nicht zu verachten. Sein größtes Hobby ist es, klassische chinesische Dichter zu übersetzen. Xian ist ein derber Bauer ohne Bildung. Er spricht kein Englisch und hat das Herz eines Fleischers. Aber Xians Machtinstinkt ist unfehlbar. Nur der von Mao war annähernd so stark, und Mao ist tot. Milton hat mir einmal gesagt, er würde die Bildung eines ganzen Lebens weggeben, wenn er nur eine Minute lang wirklich Macht ausüben könnte. Er sieht zu, wie Xian das Spiel kontrolliert, das ist der Unterschied. Noch eine Pfeife?«
    »Nein.«
    »Das ist der Preis, den du zahlen mußt, Chief Inspector. Nichts ist umsonst in Hongkong – und du hast nichts zu bieten außer deiner Unschuld.«
    Er sah ihr zu, während sie die nächste Pfeife vorbereitete, und inhalierte noch einmal den süßen Rauch.
    »Sex und Opium sind die besten Betäubungsmittel. Beim Sex vergißt man einen Augenblick lang alles, und mit Opium erinnerst du dich voller Freude sogar noch an deine schlimmsten Taten.«
    »Clare Coletti«, sagte Chan. Die Worte kamen ganz langsam aus seinem Mund, als habe gar nicht er sie ausgesprochen. » Sie ist noch am Leben, stimmt’s? «
    Er hatte sich diese Frage für jetzt aufgespart und eine dramatische Reaktion erwartet, doch Emily sah ihn nur an, als schätze sie den Grad seiner Berauschung ab. Sie wandte den Blick ab, ohne seiner Frage Beachtung zu schenken. »Natürlich hat mir Milton beigebracht, wie man Opium raucht; Dad hat mich davor gewarnt. Aber wahrscheinlich hat Milton gewußt, daß ich es brauchen würde. Er hat gesagt, wenn es gut genug für Thomas De Quincey und Sherlock Holmes war, wäre es doch auch gut genug für ihn. Natürlich geht er sehr diszipliniert damit um.«
    »Sherlock Holmes hat Kokain geschnüffelt«, sagte Chan und hätte dabei fast gekichert. Die extreme Trägheit des Diplomaten neulich abend auf dem Boot fiel ihm wieder ein. Er spürte, wie Emily ihn musterte.
    »Es mußtest du sein; ich habe sonst niemanden, mit dem ich mich unterhalten kann. Und es mußte Opium sein, weil das alles hier morgen früh nicht mehr als ein Opiumtraum sein wird. Du wirst dir nicht einmal mehr sicher sein, ob du dich noch richtig erinnerst, weil du keine Beweise mehr haben wirst.« Sie lachte kurz und humorlos. »Für deine Zwecke wäre es wirklich besser gewesen, wenn du mich gebumst hättest.«
    »Clare …« Es fiel ihm schwer, sich an den Familiennamen zu erinnern. Wie merkwürdig, schließlich begleitete ihn dieser Name nun schon seit Wochen.
    »Coletti.« Emily legte beide Hände mit den Handflächen nach unten auf die Marmorplatte des Tisches und starrte sie an. Dann seufzte sie tief. »Ist sie noch am Leben? Vielleicht. Ist das so wichtig? Laß mich ganz am Anfang beginnen. Xian hatte schon seit Jahren daran gedacht, sich dauerhaft mit einer Organisation in Amerika zu verbinden. Er hat Verhandlungen mit Leuten in New York begonnen. Mir gegenüber hat er niemals etwas von atomwaffenfähigem Uran erwähnt. Tja, und dann tauchte plötzlich die lächerlichste Frau der Welt auf und …«
    Er mußte all seinen Willen aufbringen, um ihr zuzuhören. Er versuchte, sich davon zu überzeugen, daß das, was sie sagte, wichtig war, aber im Hintergrund spielten sich andere Dinge ab, viel bedeutsamere Dinge. Es war unhöflich, Emily keine Beachtung zu schenken, und außerdem stand seine Berufsehre auf dem Spiel,

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