Die letzten Tage von Hongkong
einen Menschen wie dich ist das ein Anreiz. Nimm die Pfeife.«
»Nein.«
»Ich kann dir alles sagen, was du wissen möchtest. Nicht nur über den Fall. Ich weiß so vieles, und ich bin müde. Ich möchte dieses Wissen mit einem echten Helden teilen, der weiß, was er damit anfangen muß.«
Sie berührte seine Haare leicht mit den Fingerspitzen. Es war unheimlich, wie ihre Persönlichkeit sich zu verändern begann. Er spürte, daß nicht das Wissen sie belastete, sondern die Einsamkeit. Jetzt wirkte sie fast schüchtern. Ihre Stimme klang sanfter und bedächtiger, fast ein bißchen mädchenhaft. »Dein Freund zum Beispiel, der alte Mann in Wanchai – ich weiß Bescheid über ihn.«
»Ja?«
»Ich habe ihn schon lange vor dir gekannt. So oft war ich knapp davor, zu ihm zu gehen. Ich habe Informationen, die ihm nützen würden – den ganzen Kopf voll. Als du ihn beschützt hast, habe ich dich bewundert. Ich wollte sein wie du. Und noch mehr wollte ich sein wie der alte Mann. Kannst du dir die Reinheit seiner Seele vorstellen? Im Frieden mit sich selbst zu leben wie er …«
Sie legte den Arm um seine Schultern und hielt ihm die Pfeife hin. »Das hier ist nicht wie Sex, mein Freund. Ich verspreche dir, du wirst hinterher keinerlei Gefühl der Verpflichtung haben. Nur noch ein wunderbares Gefühl des Friedens.«
Wieder sah er ihr dabei zu, wie sie die Pfeife vorbereitete. »Stell dir vor, acht ganze Stunden ohne die Dämonen, die dich hetzen. Das wird der einzige richtige Urlaub deines Lebens sein.« Sie streichelte seine Hand. »Gesteh dir einmal selbst etwas zu – man wird nur süchtig, wenn man oft raucht.«
Als sie mit der zweiten Pfeife fertig war, zögerte er einen Augenblick und beugte sich dann nach vorn, um zu inhalieren. Die kleine schwarze Kugel in der Schale der Pfeife blubberte vor sich hin.
Er war enttäuscht, als er merkte, daß die Droge keine erkennbare Wirkung hatte. Er schien nur etwas geduldiger zu werden. Chan ließ eine Hand in die Tasche gleiten, um das Mikro einzuschalten, das den Kassettenrekorder aktivieren würde, und wartete, bis sie selbst noch eine Pfeife geraucht hatte. Der Empfänger war zusammen mit dem Kassettenrekorder in der schwarzen Aktentasche.
»Milton hat dir erzählt, daß er mich benutzt hat. Aber er hat dir sicher nicht gesagt, wofür, oder?«
»Nein, das hat er nicht.«
»Ich war Kurier. Xian war nicht sonderlich glücklich über die Gemeinsame Erklärung Londons und Pekings über Hongkong – niemand hatte ihn zu Rate gezogen. Er bestand auf geheimen Abmachungen. Milton mußte sich auf seine Forderungen einlassen: Für Dinge, die Xian von China nach Hongkong bringen möchte, gibt es keine Grenzkontrollen. So sah der Deal aus. Natürlich hatte niemand ein Interesse daran, das schriftlich zu fixieren, und Xian und Milton haben sich zu diesem Zeitpunkt nicht offiziell miteinander unterhalten. Deshalb haben sie mich benutzt.«
Chan saß ganz still da und versuchte, diesen einfachen Satz zu begreifen: keine Grenzkontrollen. Er hätte es wissen müssen – die schlimmsten Antworten stimmen meist. So vieles erklärte sich durch diese zwei Worte von selbst. Jetzt begriff er die feine Ironie der Geschichte: England als unfreiwilliger Handlanger beim Handel mit der Droge, die die westlichen Gesellschaften allmählich von innen her zersetzte.
»Und – lassen sie ihn irgendwas einführen?«
»Alles. Und er kann die Sachen auch von hier aus verschiffen. Natürlich geht das Risiko, sobald sie Hongkong verlassen, auf ihn über.«
»Und er kontrolliert die Armee im südlichen China?«
»Er und sechzehn weitere Generäle. Schritt für Schritt haben sie mehr als die Hälfte aller großen Gesellschaften in Hongkong aufgekauft – natürlich haben sie dazu Stellvertreter eingeschaltet. Sie haben Hongkong in der Tasche. Eine einfache, aber brillante Strategie. Schanghai ist 1949 zusammengebrochen, weil der Westen sein ganzes Geld abgezogen hat. Diesmal wird das nicht passieren, weil die Hälfte der hier ansässigen Gesellschaften von chinesischen Aktionären mit unbegrenzten Mitteln unterstützt werden. Das haben die Briten ja schon im letzten Jahrhundert herausgefunden: Nichts ist verläßlicher als Rauschmittel.«
»Du bist also ihre Handlangerin – du wäschst ihr Geld, vermittelst die Stellvertreter und bereitest die Investitionen vor – sind das deine Aufgaben?«
Sie nickte. »Als die ganze Sache angefangen hat, wußte ich nichts von laogai. Ich möchte, daß du mir
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