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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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machte Chan ein teigiges Gesicht ohne besondere Merkmale aus. Die Gestalt trug die Uniform des Chief Superintendent der Royal Hong Kong Police Force. Der Mund des Mannes entspannte sich ein wenig, als Chan aus dem Dunkel trat.
    »Unglaublich schnell waren Sie wieder mal«, sagte Riley. »Wir haben die Nachricht gerade erst über Mongkok rausgegeben. Wir haben auch versucht, Sie zu Hause zu erwischen. Wie zum Teufel haben Sie es so schnell geschafft, herzukommen?«
    »Mit dem Taxi«, antwortete Chan. »Was ist passiert?«
    »Das ist bis jetzt noch nicht klar. Eine heikle Angelegenheit. Das wird eine Presse geben, als sei der Gouverneur gestorben. Sie lassen gerade das Wasser aus dem Pool. Ich habe Sie angerufen, weil eine Verbindung zu den Fleischwolfmorden bestehen könnte. Ich habe gehört, daß Sie vorhatten, sie zu befragen.«
    Hinter dem Haus erhellten noch mehr Halogenlampen den Swimmingpool und die geflieste Umrandung. Die ernsten Gesichter der anwesenden Engländer und Chinesen wirkten in diesem Licht wie weiße Masken. Der Wasserspiegel fiel alle dreißig Sekunden um etwa zweieinhalb Zentimeter; vom Ablaufrohr drang ein saugendes Geräusch herüber. Niemand hatte es für nötig befunden, die nackte Frau aus der Mitte des Pools zu holen. Ihr Kopf blieb, offenbar am Hals fixiert, unter Wasser, während ihr Körper und die Beine allmählich nach oben trieben. Alle sahen, daß da nichts mehr zu retten war. Eine gelbe Flüssigkeit trat aus dem weit aufgerissenen Mund; die Augen konnten schon seit Stunden nichts mehr sehen.
    Als das Wasser ungefähr auf Taillenhöhe angekommen war, drehte sich Emily. Die beiden u-förmigen Narben unter den Brüsten, die jetzt deutlich zu sehen waren, machten sie verletzlich. Chan hätte seine Beleidigungen gerne zurückgenommen.
    »Wir gehen vorerst davon aus, daß es sich um einen mutmaßlichen Mord handelt, nicht wahr?« fragte Riley, der sich Chan von hinten genähert hatte.
    »Natürlich.« Aus den Augenwinkeln sah Chan, daß die chinesischen Techniker den italienischen Marmortisch voll östlicher Sorgfalt mit Fingerabdruckspuder bedeckten. Verschwitzte Hände auf glatten Oberflächen ergaben die schönsten Abdrücke – » Schlaf mit mir « , » Nein « .
    Als das Wasser auf Kniehöhe angekommen war, sprang Chan in den Swimmingpool, um die Kette zu untersuchen, die Emily am Boden festhielt. Sie war über ein Vorhängeschloß mit einem dicken Lackledergürtel verbunden, der um ihren Hals geschlungen war. Irgend jemand hatte ein zusätzliches Loch in das Leder gebohrt. Mit dem anderen Ende war die Kette an einem gußeisernen Gitter auf der tiefen Seite des Swimmingpools festgemacht. Emilys Arme waren hinter ihrem Rücken mit Handschellen zusammengeschlossen. Auf dem Fliesenboden des Pools lagen, gleich unter ihren Oberschenkeln, drei Schlüssel. Handelte es sich hier um einen Selbstmord, der wie ein Mord aussehen sollte? Oder um einen Mord, der als Selbstmord daherkam? Oder vielleicht nur um einen raffinierten Selbstmord mit ein wenig Selbstironie? Schließlich stammte der Gürtel um ihren Hals von Chanel. Chan borgte sich Papier und Bleistift von einem anwesenden Beamten. Unter dem Blick Rileys machte er sich eine Skizze von dem Swimmingpool und der Position der Leiche.
    »Wenn die Sache nichts mit den Fleischwolfmorden zu tun hat, sind wir natürlich nicht zuständig. Dann müssen wir die Sache an die Leute vom Central District weitergeben.«
    Chan trat einen Schritt zurück, um die Lage des Gebäudes in Relation zum Pool aufzuzeichnen. »Bis zum Morgen gehört der Fall uns. Wenn ein Bezug besteht, möchte ich mich nicht mit dem Unsinn eines anderen Beamten auseinandersetzen müssen.«
    »Ja, da haben Sie recht.«
    Chan sah Riley an. »Es ist das beste, wenn Sie nichts berühren, Sir. Ich möchte schließlich nicht, daß Sie plötzlich zu einem Teil der Beweiskette werden. Haben Sie irgend etwas berührt?«
    Die Frage hatte die gewünschte Wirkung. Riley zog sich zu den Fahrzeugen auf der anderen Seite des Hauses zurück. Chan folgte ihm. In einem Polizeiwagen fand er eine Videokamera, die er zum Pool mitnahm. Alle wichen aus, als er zu filmen begann. Das ging ganz automatisch: eine Aufnahme von dem ganzen Gelände; die Beziehung zwischen Pool und Haus; die Grenzen des Grundstücks; die Leiche selbst; Zigarettenkippen, kaputte Zäune oder Gebüsch, falls vorhanden. Aus den Augenwinkeln sah Chan, daß die Techniker mit der Arbeit am Marmortisch fertig waren. Er schwenkte

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